Editorischer Kommentar

Anders als der Titel vermuten lässt, bilden die Kanarischen Inseln in dem am 10. und 17. Oktober 1814 vor der Klasse für physikalische und mathematische Wissenschaften des Institut de France in Paris gehaltenen Vortrag lediglich den Ausgangspunkt für allgemeine Überlegungen zur pflanzengeographischen Forschung. Humboldt entwickelt die Pflanzengeographie hier als Teildisziplin einer „physique du monde“ oder „théorie de la terre“. Deren Ziel sei die Erkenntnis von Gesetzmäßigkeiten, auf denen der „Haushalt der organischen Natur“ beruhe (I, Bl. 1r). Am Beginn steht für Humboldt die Identifizierung von Naturphänomenen, die der Hypothesenbildung als globale analytische Zwischenglieder („chaînons intérmédiaires“) dienen könnten (I, Bl. 1r).

Schnee- und Vegetationsgrenzen seien solche geeigneten Phänomene, da sie sich auf allen Breitengraden und, idealerweise, mit einheitlichen Messmethoden untersuchen und vergleichen ließen (I, Bl. 5r-6r; II, Bl. 1v–5v). Dabei geht es Humboldt nicht nur um die Grenzen des ewigen Schnees und um Wachstumsgrenzen verschiedener Pflanzentribus, sondern auch um das Abstandsverhältnis dieser Grenzen voneinander auf verschiedenen Breitengraden. In der Praxis bedeutete dies die Verknüpfung barometrischer Höhenmessungen mit klimatologischen bzw. meteorologischen Daten und botanischer Forschung.

Humboldt erläutert, wie erst die Fehlerbereinigung durch eine kritische Analyse der gewonnenen Daten zur erfolgreichen, auf Zahlen gegründeten Auffindung von Gesetzmäßigkeiten führe. Denn die Vegetationsgrenzen hingen seiner Beobachtung zufolge nicht nur von Witterungsbedingungen und Breitengraden ab, sondern darüber hinaus von den jeweiligen Vegetationsformen und deren Standortansprüchen. So bildeten Nadelhölzer die Baumgrenzen in den gemäßigten Breiten Mexikos und Europas, diese fehlten jedoch an den Hängen der südamerikanischen Anden. In Lappland wiederum bilde die kurze heiße Sommer bevorzugende Birke die Baumgrenze. Studiere man jedoch den „Zusammenhang zwischen den mexikanischen Kiefern und denen der Pyrenäen und der Alpen […] entsteh[e] erneut Harmonie“ – so lasse sich eine gleichmäßige Progression der Baumgrenzen vom 21. bis zum 71. Breitengrad nachweisen (II, Bl. 4r).

Die Untersuchung des weltweiten Verlaufs der Vegetationslinien mittels botanischer und meteorologischer Daten weist starke methodische Parallelen zu dem etwa zur selben Zeit entwickelten Darstellungsverfahren der Isothermen auf (II, Bl. 2r, Humboldt 1817a). Mit dem Versuch, die Verhältnisse der Vegetations- und Schneehöhen durch einfache Zahlenwerte auszudrücken, nähert sich Humboldt zudem bereits der botanischen Arithmetik an, die er ein Jahr später, 1815, in den „Prolegomena“ zur Nova genera et species plantarum als numerische Methode der Pflanzengeographie propagieren sollte (Humboldt/Bonpland/Kunth 1815–1825, I, iii–lviii). Mit Hilfe dieses durch Humboldt, Augustin-Pyrame de Candolle und Robert Brown eingeführten Verfahrens sollten weltweite Verbreitungsmuster von Pflanzenformen nachgewiesen werden. Schnee- und Vegetationsgrenzen vom Äquator bis zum Polarkreis integrierte Humboldt in seine pflanzenarithmetischen Überlegungen. Nicht zuletzt veranschaulichte er sie in der Tafel Geographiae plantarum lineamenta, die er dem ersten Band der Nova genera beigab.

Einen Auszug aus der Einleitung des Manuskripts (Bl. 3r–3v) setzte Humboldt dem Druck seines 1816 im Institut de France gehaltenen Vortrags „Sur les lois que l’on observe dans la distribution des formes végétales“ voran (Humboldt 1816, 225–227). Die darin enthaltenen Bemerkungen zur Geographie Teneriffas und zur Geschichte der botanischen Forschung helfen, den Vortrag vom Oktober 1814 werkbiographisch noch näher einzuordnen: Humboldt kündigt hier das Tableau physique des Îles Canaries. Géographie des Plantes du Pic de Ténériffe an, das er nach dem Vorbild des Naturgemäldes der Tropenländer gestalten wolle (Humboldt 1814–1834, Tafel 2). Angeregt durch seine Ideen zu einer Geographie der Pflanzen nebst einem Naturgemälde der Tropenländer (Humboldt 1807) hätten Forschungen der jüngsten Zeit die botanische Feldarbeit mit präzisen Höhen- und Temperaturmessungen kombiniert. Erst dadurch sei die Pflanzengeographie in den „Rang einer Wissenschaft“ erhoben worden (I, Bl. 4r; II, Bl. 1v).

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| II_4r7.hautes Cordillères à des Conifères
de l’Europe et du Mexique: la
physiologie végétale n’indique un innerhalb der Zeile
aucun
rapport entre des végétaux
de famille[s] si différentes. Dès qu’on
fixe s innerhalb der Zeilese borne à étudier les
rapports qu’offrent les Pins du
Mexique avec ceux des Pyrénées
et des Alpes (quoique d’espèces
différentes)[,] l’harmonie reparoît[:]
on ne trouve  am rechten Rand⎡les presque égalesles über der Zeiledes distances presque
égales aux [des] neiges perpét. Elles
sont de 20–71° de lat
de innerhalb der Zeilecomme les nombres

18. 17 et 15.

et  innerhalb der Zeile⎡l’établi
ssement
de cette
loix [sic]
cette loix [sic]de la nat über der Zeile de la nature n’est
sans doute pas du moins
intéres
 innerhalb der Zeileimportantes pour innerhalb der Zeilebien important
pour la Phys. générale innerhalb der Zeiledes Végétaux.

6° Nous venons de con innerhalb der Zeiled’examiner
la haut des arbres sous un point
de vue général en comparant
en gros le Tropique de über der Zeileau cercle [...]
le cercle innerhalb der Zeilepolaire
. La dist innerhalb der ZeileEn
entrant
dans un plus grand innerhalb der Zeilele
détail
des über der Zeilede ces mesures[,] on aperçoit
qu’il y a une rétrécissement am rechten Rand⎡progression assez
 innerhalb der Zeilepetitepetite mais
très
régulière dans la haut des innerhalb der Zeile
limite des
arbres depuis les 21° [jusqu’]aux
71°. Leur distance aux neiges est
au Mexique de  Toise: Längenmaß (Frankreich), Humboldt verwendet auch die griechische Bezeichnung 'hexapus' (6 Fuß), 360 Toise entsprechen 701,42 m360 t[,] au centre
de l’Europe de de [sic] 340 über der Zeile Toise: Längenmaß (Frankreich), Humboldt verwendet auch die griechische Bezeichnung 'hexapus' (6 Fuß), 323 Toise entsprechen 629,33 m323. et en
Laponie de  Toise: Längenmaß (Frankreich), Humboldt verwendet auch die griechische Bezeichnung 'hexapus' (6 Fuß), 300 Toise entsprechen 584,52 m300.Anmerkung des Autors (am rechten Rand) Ces nombres sont le (?)
moyen d’un(?)
 Unleserliche Stelle (1 Wort) [...]
Anmerkung des Autors (am rechten Rand) a über den ursprünglichen Text geschriebenAu Mexique[,]
le Pin
(P occid )
est une
plante
alpine qui
ne commence
là où les arbres finissent
qu’à über der Zeileen Europe [(]à  Toise: Längenmaß (Frankreich), Humboldt verwendet auch die griechische Bezeichnung 'hexapus' (6 Fuß), 950 Toise entsprechen 1,85 km950 t[)]
et finit
à la haut
du Pic de
Ténériffe
[.]
En comparant les mont.
de la Laponie à la innerhalb der Zeilenon aux dépressions(?)
mais à la pente septentr
des Alpes, on voit les arbres
monter innerhalb der Zeiles’approcher des [...] beaucoup
plus des neiges sous le cercle
polaire que par les 47° de latitude[.]
Dans le Nord de l’Europe[,] la végétation
des arbres finit par des bouleaux
B. alba[,]  am rechten Rand⎡par un
arbre à feuilles
herbacées
qui ne vit pour
ainsi dire
qu’en été
, aux über der Zeiledans les Alpes et aux
Pyrénées[,] la végétation finit
par le Pinus sylvestr et le P.
mugho
qui demandent über der Zeileaiment des
étés moins über der Zeileplus longs et
moins chauds. Le bouleau

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Zitierhinweis

Humboldt, Alexander von: Considérations générales sur la végétation des îles Canaries, hg. v. Ulrich Päßler unter Mitarbeit von Eberhard Knobloch. In: edition humboldt digital, hg. v. Ottmar Ette. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. Version 9 vom 04.07.2023. URL: https://edition-humboldt.de/v9/H0016427. Folio: https://edition-humboldt.de/v9/H0016427/II_4r


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