Einleitung

J'ai essayé de tracer le Tableau physique du Continent […] Ich habe versucht, in diesem Werke ein Naturgemälde des Continents zu liefern […] [1][1] Humboldt 1843, I, VII.

1Mit diesen Worten beginnt Alexander von Humboldt in seinem Werk über Zentralasien die Widmung an Nikolaus I. Der russische Kaiser hatte Humboldt durch Vermittlung seines Finanzministers Georg von Cancrin zu seiner zweiten großen Expedition 1829 in den Ural und den Altai[2] eingeladen und diese finanziert. Neben Humboldt reisten drei gestandene Wissenschaftler, die ausgewiesene Spezialisten auf ihrem Gebiet waren: der Mineraloge Gustav Rose, der Zoologe und Botaniker Christian Gottfried Ehrenberg und der russische Bergoffizier Dimitrij Stepanowitsch Menschenin. Die auf dieser Reise zu Lande zurückgelegte Strecke war mehr als doppelt so lang wie die der amerikanischen Expedition. Da die Tour durch wirtschaftlich erschlossene Regionen führte, waren die Vorbereitung und die Logistik der Reise einfacher als bei der Amerikareise zu bewerkstelligen.[3] [2] Die Amerikareise Humboldts lag 30 Jahre zurück. [3] Vgl. hierzu ausführlich den Beitrag von Hendrik Böttcher.

2Anlass der Reise und der wissenschaftliche Background der Teilnehmer werden vorgestellt. Es wird dargelegt, wie die Tagebücher während und nach der Reise genutzt wurden. Zudem wird die Kommunikation der Teilnehmer untereinander nachvollzogen, so wie sie sich in den Tagebüchern widerspiegelt.

3Die Abbildungen zeigen Minerale aus der Sammlung des Museums für Naturkunde Berlin. Sie sind im Ergebnis der Russischen Reise in die Sammlung gekommen. Weitere Fotos entstanden auf einer Forschungsreise „Auf den Spuren Alexander von Humboldts in Sibirien“ im Jahre 2019.[4][4] Ein Tagebuch der Forschungs- und Studienreise sowie weiterführende Materialien finden sich auf den Seiten der TU Bergakademie Freiberg unter https://web.archive.org/web/20201001133730/https://tu-freiberg.de/humboldt-250/humboldt-jahr-2019/sibirien-2019 (archivierte Fassung).

Gustav Rose und Christian Gottfried Ehrenberg - zwei aufgehende Sterne am Berliner Wissenschaftshimmel

4Auf einem beigefügten Zettel zu einem Brief vom 19. November 1827 an den russischen Finanzminister Georg Graf von Cancrin schreibt Humboldt:

Mein heißester Wunsch ist, Ihnen in Russland selbst meine Aufwartung zu machen. Der Ural und der nun auch bald Russische Ararat, ja selbst der Baikal-See schweben mir als liebliche Bilder vor.[5][5] Humboldt/Cancrin 1869, 9 ff.

5Nicht einmal einen Monat später antwortet Cancrin:

Ich habe vorläufig Sr. Majestät unserem hochherzigen Kaiser vorgetragen, das Ew. Hochwohlgeboren nicht ungeneigt seien eine gelehrte Reise nach dem Osten zu unternehmen. Der Monarch wünscht es, da der Gewinn für die Wissenschaft und das Reich nur sehr groß sein kann.[6][6] Humboldt/Cancrin 1869, 19 ff.

6Im Zuge des weiteren Briefwechsels bittet er darum, dass ihn die beiden jungen Professoren der Berliner Universität Gustav Rose und Christian Gottfried Ehrenberg begleiten dürfen. Auch dieser Bitte wird stattgegeben.

Gustav Rose

7Gustav Rose[7] entstammt einer märkischen Kaufmanns- und Gelehrtenfamilie, deren Berliner Zweig Besitzer der Apotheke „Zum Weißen Schwan“ war. Da sein Vater, Valentin Rose der Jüngere, früh starb – Gustav Rose war gerade neun Jahre alt – übernahm der berühmte Chemiker Martin Heinrich Klaproth die Erziehung der Kinder. Auf Klaproths Einfluss ist sicher zurückzuführen, dass der älteste Sohn Wilhelm Rose Apotheker wurde, der mittlere Sohn Heinrich Rose Chemiker und der jüngste Sohn Gustav Rose Mineraloge. Ein vierter Bruder Valentin Rose – ebenfalls Apotheker – verstarb früh. Nach der Teilnahme an den Befreiungskriegen begann Gustav Rose eine Lehre als Bergmann in einer Eisenerzgrube bei Tarnowitz in Schlesien. Kurze Zeit später kehrte er jedoch aus gesundheitlichen Gründen nach Berlin zurück, um bei Christian Samuel Weiss Mineralogie zu studieren. 1820 wurde er in absentia in Kiel promoviert mit einer Dissertation über Titanit[8] bzw. Sphen, die er als identisch erkannt hatte. [7] Die Schilderung des wissenschaftlichen Werdegangs von Gustav Rose folgt der Darstellung von Günter Hoppe (Hoppe 2001). [8] Titanit ist ein Calcium-Titan Silikat.

8Das Mineralogische Museum der Berliner Universität wurde zu dieser Zeit von Christian Samuel Weiss geleitet, der jedoch wegen seiner umfangreichen Lehrverpflichtungen zunehmend zeitlich überfordert war. Zur Behebung der Probleme wurde vorgeschlagen, einen voll ausgebildeten Gehilfen oder einen zweiten Professor einzustellen. Als geeigneten Gehilfen empfahl der preußische Kultusminister Karl Sigmund Franz Freiherr vom Stein zum Altenstein den befähigten Schüler von Weiss, Gustav Rose. Er beantragte zu dessen Förderung ein Stipendium für eine Reise nach Schweden und Norwegen, um die Rose gebeten hatte. Während er Bergwerke besichtigte und den berühmten Chemiker Jöns Jakob Berzelius besuchte, traf er auf seinen Bruder Heinrich sowie auf Eilhard Mitscherlich.[9] Beide wurden später Professoren für Chemie an der Berliner Universität. Dieser Aufenthalt brachte ihn in seinen analytischen Fähigkeiten und in der Kenntnis der speziellen Mineralogie wesentlich voran. Zurückgekehrt erhielt er die Stelle als Gehilfe im Mineralogischen Museum. Sein Verhältnis zu Weiss war von vornherein durch Spannungen geprägt. Bereits 1823 habilitierte sich Rose mit einer Arbeit über Feldspäte. Für längere Zeit wurde er durch die vom Ministerium geforderte Katalogisierung der Sammlungen eingespannt. Die Kataloge sind erhalten geblieben.[10] 1826 erhielt Rose den Titel eines außerordentlichen Professors. Wie und warum Humboldt Rose als Reisebegleiter auswählte, hat Günter Hoppe ausführlich dargestellt.[11] Kurz zusammengefasst lässt sich sagen: In Berlin gab es keinen geeigneteren Mineralogen für diese Aufgabe. Rose hat auch nach der Reise, deren Reisebericht er ja bekanntlich verfasste, bedeutende Leistungen vollbracht: Er legte die Grundlage für die bis heute gültige Mineralsystematik, indem er die kristallographischen Eigenschaften und die chemische Zusammensetzung als Grundlage nutzte.[12] Der Begriff Kristallchemie geht auf ihn zurück ebenso wie die Systematisierung der Meteorite.[13] Er wurde u.a. Mitglied der Königlich-Preußischen Akademie der Wissenschaften, der Leopoldina und Träger des Ordens Pour le Mérite.[9] Heinrich Rose führte viele chemische Analysen für seinen Bruder aus; mit Mitscherlich verband ihn eine lebenslange Freundschaft, die zu mehreren gemeinsamen Reisen und einer wissenschaftlichen Zusammenarbeit führte. [10] Da jedoch keine Zuordnung vom Katalogeintrag zum Sammlungsobjekt erfolgte, sind die Kataloge für die Rekonstruktion des historischen Sammlungsbestandes nur bedingt zu gebrauchen. [11] Hoppe 2014. [12] Rose 1852. [13] Rose 1864.

Christian Gottfried Ehrenberg

9Der zweite Wissenschaftler, der Humboldt begleitete, war der Mediziner, Zoologe und Botaniker Christian Gottfried Ehrenberg. Humboldt und Ehrenberg standen bereits vor der Expedition, die Ehrenberg zusammen mit Friedrich Wilhelm Hemprich nach Nordafrika und Westasien geführt hatte, in brieflichem Austausch.[14] Mit dieser Expedition hatte sich Ehrenberg einen Namen gemacht. Er wurde bereits 1827 ordentliches Mitglied der Königlich-Preußischen Akademie der Wissenschaften in Berlin. Humboldt hat Ehrenberg natürlich zur Komplettierung der wissenschaftlichen Expertise ausgewählt. Dazu kam seine Expeditionserfahrung, und Ehrenberg sei ihm „[…] zugleich eine ärztliche Hilfe.[15] Wichtig war Humboldt wahrscheinlich auch, einen weiteren gebildeten Gesprächspartner für die langen Wegstrecken in den Kutschen bei sich zu haben. Nach der Rückkehr von der Reise konzentrierte Ehrenberg seine Forschungen auf die systematische Beschreibung der „Infusionsthierchen“. So wurden die mikroskopisch kleinen Organismen damals genannt.[16] Ehrenberg galt als der Experte auf diesem Gebiet, und viele Wissenschaftler aus aller Welt – so auch Charles Darwin – baten ihn um die Untersuchung ihrer Proben. [14] Päßler 2021. [15] Humboldt/Cancrin 1869, 59. [16] Unter dem Titel „Christian Gottfried Ehrenberg: Lebensbilder eines Naturforschers“ erschien 2021 ein von Ulrich Päßler herausgegebener Ausstellungskatalog als Themenheft in der Zeitschrift HiN – Alexander von Humboldt im Netz, vgl. https://doi.org/10.18443/hinvol22iss422021.

12. April 1829: Die Reise beginnt

10Nachdem alle Fragen der Finanzierung und der Teilnahme geklärt waren, brachen Humboldt und seine Begleiter am 12. April zu Ihrer Reise auf, deren Dimension noch heute Bewunderung hervorrufen muss:

Reisedauer

11260 Tage (12. April bis 28. Dezember 1829)

Reiseroute

12Berlin, Sankt Petersburg, Moskau, Jekaterinburg, mittlerer und nördlicher Ural, Tobolsk, Barnaul, Altai, chinesische Grenze, Semipalatinsk, Miass, Ilmengebirge, südlicher Ural, Orenburg, Astrachan, Kaspisches Meer, Moskau, Sankt Petersburg, Berlin

Zurückgelegte Entfernung

13ca. 19.000 km (Vergleich: 8.000 km in Südamerika), d.h. Ø ca. 70 km/Tag

Fahrzeuge

14drei Kutschen unter Benutzung von 12.244 Pferden, d.h. vier bis acht Pferdewechsel/Tag

Ständige Teilnehmer

15Alexander von Humboldt (60 Jahre), Gustav Rose (31 Jahre), Mineraloge, Christian Gottfried Ehrenberg (34 Jahre), Zoologe und Botaniker, Dimitrij Stepanowitsch Menschenin (39 Jahre), russischer Bergoffizier, Johann Seifert (29 Jahre), Jäger und Diener, ein Courier sowie ein Koch

Zwei (drei, vier) Tagebücher: ein Vergleich

16Alle vier Wissenschaftler haben Tagebuch bzw. Feldbücher geführt. Die Tagebücher von Humboldt und Ehrenberg sind erhalten geblieben, in vorbildlich editierter Form digitalisiert und öffentlich zugängig.[17] Der Verbleib des Tagebuchs von Rose ist unbekannt; das Tagebuch von Menschenin diente als Grundlage für seinen amtlichen Bericht an Cancrin, der 1830 die Veröffentlichung im Mining Journal (Горный журнал) veranlasste.[18] Zwar ist der Bericht ohne Nennung eines Namens erschienen, die Zuschreibung zu Menschenin ist wohl unzweifelhaft. Gustav Rose standen für die Verfassung des Reiseberichts die Tagebücher und andere Unterlagen Humboldts zur Verfügung: [17] Vgl. die Übersicht der edition humboldt digital über alle im Teilkorpus „Die russisch-sibirische Reise (1829)“ bereits edierten und noch geplanten Tagebücher unter https://edition-humboldt.de/H0018398. [18] Petzschner/Men’šenin 1960 und Men’šenin 2009.

Herr von Humboldt hat die Güte gehabt, mich auf die liberalste Weise bei der Ausarbeitung des Werkes zu unterstützen; er hat mich in Besitz aller Karten, Bücher und Manuscripte gesetzt, welche ihm auf der Reise selbst mitgetheilt worden sind, er ist mit mir sein ganzes Tagebuch, das geognostische, astronomische, magnetische und meteorologische Beobachtungen umfasst, durchgegangen, und hat mir daraus eine Menge Notizen zur selbstständigen Benutzung mitgetheilt, wie er mich auch bei keiner Gelegenheit seines Rathes und seiner freundschaftlichen Theilnahme hat entbehren lassen, was ich nicht ohne den innigsten Dank hier anerkenne.[19] [19] Rose 1837/1842, I, XI f.

17Roses umfangreiches Reisewerk (Bd. 1, 1837 und Bd. 2, 1842) war ein Standardwerk über den historischen Bergbau im Ural und im Altai und ist die bis heute wichtigste Quelle über den Verlauf und die Ergebnisse der russisch-sibirischen Forschungsreise. Humboldt selbst hat die Ergebnisse und Erkenntnisse der Reise in sein Werk Asie centrale - Recherches sur les chaines des montagnes et la climatologie comparée (3 Bde., 1843) einfließen lassen.

18Die Gründe für das späte Erscheinen des allein von Rose veröffentlichten Reiseberichts hat Günter Hoppe sehr genau analysiert.[20] Er verweist auch auf die damit verbundenen Nachteile und Vorteile. Ein Nachteil war zweifellos, dass man Humboldt in Russland vorwarf, eine reine Sammelreise unternommen zu haben; der Vorteil lag darin, dass der Reisebericht bereits sehr viele der mineralogischen Untersuchungen an Material aus dem Ural von Rose selbst und von anderen Wissenschaftlern enthält.[20] Hoppe 2014.

19Obwohl die Tagebücher von Rose bisher nicht aufgefunden wurden, waren sie doch wesentliche Grundlage für die Erstellung seines Reiseberichts. Dieser ist in Bezug auf die Geologie, die Lagerstättenbeschreibung und die Beschreibung der dort gefundenen Minerale und Gesteine[21] meist sehr detailliert. Daraus ist zu schließen, dass Rose ein sehr ausführliches Feldbuch geführt haben muss. Dagegen gibt das Tagebuch von Humboldt dazu meist nur allgemeine Informationen. [21] Diese Beschreibungen erfolgten wohl hauptsächlich am mitgebrachten Sammlungsmaterial.

20Ehrenbergs Tagebuch erwähnt, wenn überhaupt, nur den Ort, einige Eindrücke und die dort vorkommenden und gesammelten Pflanzen. Zumeist ist er auch nicht in die Gruben miteingefahren. Seine Aufzeichnungen trugen nichts zur Geologie und Mineralogie der bereisten Gebiete bei.

21Sehr ausführlich sind dagegen in Humboldts Tagebüchern Temperatur-, barometrische und magnetische Messungen dokumentiert. Rose widmet ihnen eigene Abschnitte bzw. Kapitel im Reisebericht. Sicher haben Humboldt und Rose nicht nur im Vorfeld von Roses literarischer Arbeit, sondern auch vor Ort das Gesehene diskutiert. Diskrepanzen von Humboldts Eintragungen in seinen Tagebüchern und dem Reisebericht sind nicht zu bemerken. Menschenins Bericht ist sehr kurz abgefasst und enthält im Wesentlichen Fakten der Reise. Zu verweisen sei auf die Informationen, die für die Bergwerksverwaltung interessant waren und andere, die ihn als treuen Diener des Kaisers auszeichneten.[22] Zwei Beispiele: [22] Die Rolle Menschenins als offizieller Begleiter der Reise und sein Bericht waren Anlass für den Schriftsteller Christoph Hein in seiner fiktiven Erzählung „Die russischen Briefe des Jägers Johann Seifert“ Methoden der Überwachung in Russland aufzuzeigen (Hein 1980). Alexander von Benckendorff hatte ab 1826 einen sehr ‚effektiven‘ Geheimdienst aufgebaut. Wie sehr oft in der Literatur der DDR wurden historische Ereignisse (in diesem Fall als fiktive Rekonstruktion) zur Kritik am gesellschaftlichen System genutzt.

Am 4. Juli besuchten die Reisenden die Tura-Kupferbergwerke [s.u.]. Die von einem Privatmann angelegten Bogoslowsker Hütten und die Erzgruben, die nicht nach Vorschrift abgebaut worden waren, trugen den deutlichen Stempel unordentlicher Wirtschaft. Man muß große Geduld und Wißbegier sowie eine stetig anspornende Liebe zur Wissenschaft besitzen, um diesen schmutzigen, krummen und niedrigen Entwässerungsstollen zu befahren.[23][23] Petzschner/Men’šenin 1960, 177.

Außerdem wurden die Reisenden an der ganzen Irtyschlinie entlang von Abteilungen sibirischer Kosaken begleitet, den Bezwingern der Mittelkirgisischen Horde. Die sibirischen Kosaken, ausgezeichnete Truppen, die von dem General Кapzewitsch auf ihren derzeitigen hohen Stand gebracht worden sind, erwarben sich die verdiente Bewunderung der Reisenden.[24][24] Petzschner/Men’šenin 1960, 182.

22Die Aufzeichnungen Humboldts zu einigen besuchten Gruben und Lagerstätten sollen im Folgenden beispielhaft mit Roses Reisebericht verglichen werden:

Karpinsk, früher Bogoslowsk (Ural)

Große Ansicht (Digilib) Abb. 1: Malachit mit Azurit, Karpinsk, Ural, Russland, (Inv.-Nr. 1984-0042). Foto: Hwa Ja Götz (MfN).

23Bogoslowsk wurde 1759 gleichzeitig mit einer Kupferhütte gegründet und nach dem Evangelisten Johannes benannt. Bogoslowsk gehörte wegen der reichen Kupfererzvorkommen bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts zu den reichsten Städten im Ural. Nachdem die Kupfergruben ausgeerzt waren, verlagerte sich der Bergbau auf Braunkohle. 1941 wurde die Stadt nach dem in Bogoslowsk geborenen Geologen Alexander Karpinski in Karpinsk umbenannt.

24Rose beschreibt die Lagerstättenverhältnisse in den Gruben am Turjinschen und Frolowschen Berg auf insgesamt 24 Seiten.[25] Er benutzt dazu auch Fremdliteratur. Den größten Anteil nimmt die Beschreibung der Minerale ein (15 Seiten). Besondere Aufmerksamkeit widmet er den Kupferkristallen: [25] Rose 1837/1842, I, 397 ff.

Es kommt meistentheils krystallisiert vor; die Krystalle sind nicht selten von einer Grösse, Nettigkeit und Deutlichkeit, wie sie bei dem Kupfer keines andern Fundortes vorkommen; sie verdienen daher hier um so mehr eine ausführliche Betrachtung, da sie, obgleich schon seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts bekannt, noch nicht besonders beschrieben worden sind.“ [26][26] Rose 1837/1842, I, 435 ff.

25Humboldts Beschreibung dagegen fällt sehr kurz aus. Gemeinsam ist beiden Beschreibungen die Befahrung der Grube.

26Humboldt:

Wir fuhren durch Schacht Parasovski hinein und Schacht Kurbatovskoi hinaus[27] [27] Humboldt RST I, 32r.

27Rose:

Auf der Suchodoiskischen Grube fuhren wir in dem Porrossowskischen Schachte an […] und fuhren dann aus dem Kurbatowskischen Schacht heraus.[28] [28] Rose 1837/1842, I, 418 f.

28Natürlich misst Humboldt die Temperatur in der Grube, die der Grubenwässer und vergleicht sie mit den Temperaturen an der Oberfläche.

29Eine etwas längere Bemerkung ist Humboldt die folgende Erscheinung wert:

Große Ansicht (Digilib)Abb. 2: Roses Zeichnungen von Kupferkristallen aus den Turjinschen Gruben bei Bogoslowsk (Fig: 9–12), Nischni Tagilsk (Fig: 13 und 14) und Bogoslowsk (Fig: 15), in: Goldschmidt 1913–1923, V. Große Ansicht (Digilib)Abb. 3: „Gestein, welches der Hütte gegenüber die schroffen Felsen bildet.“ (Rose 1837/1842, I, 423; Zeichnung: I, 426)

Source remarquable sortant du mur de porphyre rougeâtre alternance calcaire grenu hora 1,4 (45° Orient) vis-à-vis usine de Bogeslawsk où Monsieur Rose a découvert 1) une séparation colonnaire concentrique sternförmige Verglasterung du porphyre qui s’est refroidi 2) changement du calcaire grenu au contact avec le porphyre recevant des bandes siliceuses = Bandjaspis, devant quelquefois dur et vert comme du Grünstein (Voyez flammes et bandes siliceuses dans les calcaires devenus grenus de ma collection de Predazzo à Berlin). Source qui sort de ce porphyre an der Felswand couverte de 60 pies de la roche 2° Réaumur air 13°, 4 Réaumur (Pas de glace!). Bemerkenswerte Quelle, die aus der Wand aus rötlichem Porphyr hervorgeht, abwechselnd mit körnigem Kalkstein hora 1,4 (45° Orient) vis à vis Werk Bogeslawsk, wo Herr Rose 1) eine konzentrische säulenförmige Trennung sternförmige Verglasterung des Porphyrs, der abgekühlt ist 2) Veränderung des körnigen Kalksteins bei Kontakt mit dem Porphyr, der kieselige Streifen erhält = Bandjaspis entdeckt hat (Siehe Flammen und kieselige Bänder in den gräulich gewordenen Kalksteinen meiner Predazzo-Sammlung in Berlin.) Quelle aus diesem Porphyr an der Felswand entdeckt 60 Pies aus dem Felsen 2° Réaumur Luft 13°, 4 (Kein Eis!).[29] [29] Humboldt RST I, 32r

30Rose wiederum widmet diesem Aufschluss fünf Seiten. Seiner Beschreibung gibt er sogar eine der wenigen Zeichnungen bei, die der Reisebericht enthält.

31Eine Deutung erscheint Rose nach erstem Ansehen nicht möglich:

Um diess aber mit Sicherheit auszumachen, wenn es sich überhaupt in dieser Gegend mit Sicherheit ausmachen lässt, wäre ein längerer Aufenthalt nothwendig gewesen, als den wir auf unserer Reise den einzelnen Gegenden widmen konnten.[30][30] Rose 1837/1842, I, 427.

Smeinogorsk, deutsch Schlangenberg (Altai)

32Rose beschreibt die Bedeutung der Silbergruben, die sich an und in einem „[…] Berg, welcher das Erzlager enthält […][31] befinden: [31] Rose 1837/1842, I, 561.

Große Ansicht (Digilib)Abb. 4: Drahtförmiges Silber in Barytdruse, Smeinogorsk (Schlangenberg), Altai, Russland (Inv.-Nr. 2003-8804), mit Etikett von Gustav Rose. Foto: Hwa Ja Götz (MfN).

Wenige Silbergruben haben gleich vom Anfange ihrer Bearbeitung an so ausserordentliche Ausbeute geliefert als der Schlangenberg, der daher nicht mit Unrecht einen solchen Ruf erlangt hat.“ [32] [32] Rose 1837/1842, I, 555.

Wie wichtig aber der Bergbau des Altai ist, ergiebt sich schon aus seiner Produktion, die vorzugsweise in Silber besteht, und grösser ist als die irgend eines andern einzelnen Theiles des alten Kontinents, denn schon seit länger als einem halben Jahrhundert beträgt das etatsmässige Quantum, welches der Altai zu liefern hat, 1000 Pud[33] oder 69,900 Kölnische Mark Silber. Ausserdem werden aber noch jährlich gegen 12,000 Pud Kupfer und gegen 20,000 Pud Blei gewonnen.[34] [33] Rose 1837/1842, I, 503 f.[34] Ein Pud = ca. 16,38 kg d.h. jährlich wurden ca 16,4 Tonnen Silber gewonnen.

Große Ansicht (Digilib)Abb 5: Der ehemalige Schlangenberg mit dem sogenannten Vertragsstollen von 1749. Ab den 1930er Jahren wurden viele ehemalige Erzgruben im Altai zu Tagebrüchen aufgebrochen, um letzte Erzreste zu gewinnen. Foto: F. Damaschun 2019.

33Entsprechend ihrer Bedeutung beschreibt Rose die Lagerstätte sehr umfangreich auf 29 Seiten. Aber auch an anderer Stelle wird diese Lagerstätte des Öfteren erwähnt. Neben der sehr genauen Beschreibung der geologischen Verhältnisse werden auch die Grubenbaue ausführlich behandelt. Wie fast immer nimmt die Aufzählung und Beschreibung der Minerale und Gesteine den größten Raum ein: insgesamt führt er 7 Gangarten („nicht metallische Substanzen“ bei Rose) und 19 Erzminerale und deren Sekundärminerale („metallische Mineralien“ bei Rose) auf. Rose stützt sich bei seinen Beschreibungen auch auf Untersuchungen und Beobachtungen anderer Wissenschaftler.

34Auch Humboldt widmet der Lagerstätte längere Ausführungen. Neben den meteorologischen Angaben (am Ankunftstag in Schlangenberg war es bei blauem Himmel 22°C warm) beschreibt er die Lagerungsverhältnisse.[35] Wichtig sind ihm die Temperaturen der Grubenwässer. Mehrere Seiten im Tagebuch nehmen magnetische Messungen ein. [35] Humboldt RST I, 43v f.

35Einige Seiten später - nach dem Besuch der Schleifereien von Kolywan - kommt er auf die Lagerungsverhältnisse am Schlangenberg zurück. Vielleicht sind diese Eintragungen nach Diskussionen mit Rose auf der 30 Werst langen Fahrt nach Kolywan entstanden.[36][36] Hin- und Rückfahrt 60 Werst, das entspricht etwa 68 km.

Granitfelsen am Kolywan-See (Altai)

36Wenige Kilometer von Schlangenberg entfernt liegt der Kolywan-See. Er ist berühmt geworden durch die Granitfelsen an seinen Ufern. Die Form dieser Felsen ist typisch für verwitternde Granite. Man nennt diese Erscheinung Wollsackverwitterung. Ursache sind senkrecht aufeinander stehende Klüfte im Gestein, an denen entlang die Verwitterung fortschreitet. So schön ausgeprägt wie an diesem See sind sie jedoch selten zu sehen. Humboldt schreibt:

Wunderbare Granitfelsen alle geschichtet 3 Zoll – 2 Fuß, körnig nie in Gneis übergehend, meist horizontal, doch auch ganz nahe dabei (z. B. Karaulni Kamen) einschließend 30° gegen Mittag. Kämme mit grotesken Kuppen, schmale Wände wie von Basalt oder vielmehr wie Trachytwände von Pichincha. Höchste Ufer des Sees, das südliche, wo Wussakaya Gora 6–700 Fuß über Seespiegel.

Allgemeine Ansicht dieser wunderbaren Granit Eruption vom Dorfe Sauschka oder Kolivanskaya (nahe am See) aus [es folgt eine Auflistung] [•] Wostraya Sopka, eigentlich Kette die mit Wostraya Sopka endet, sezt tiefer als Vorgebirge ins Land (Steppe) hinein, hoher spizer Berg 7,2 gegen Abend, wie Biliner Stein. [•] Dalnii Kamni ganz kleine altarähnliche Ausbrüche in der Garnowaya Step (wo Gestellstein) Stunde 12,2 liegt im Norden.[37][37] Humboldt RST I, 46r.

37Rose widmet den Felsen zwei Seiten in seinem Reisebericht.

Große Ansicht (Digilib)Abb. 6: Granitfelsen mit Wollsackverwitterung am Kolywansee bei Smeinogorsk (Schlangenberg) im Altai. Foto: F. Damaschun 2019.

Es sind Granitfelsen von der sonderbarsten Form, die das nördliche und östliche Ufer dieses an sich nur kleinen, etwa 6 Werste im Umfange haltenden Sees umgeben, und sich ganz plötzlich und unmittelbar aus der Steppe erheben. Sie stehen vereinzelt da, ohne sichtbaren Zusammenhang untereinander, oft aber reihenförmig gruppirt, gleichsam als wären sie aus einer Spalte hervorgebrochen. Sie bestehen aus übereinander liegenden meist horizontalen Platten, von 3 Zoll bis 3 Fuss Mächtigkeit, die an der Spitze oft ganz überhängen, und jeden Augenblick herunterzufallen drohen. Dabei sind sie von sehr verschiedener Grösse; die ersten die sich aus der Steppe erheben, erscheinen wie kleine einzeln in der Steppe stehende Altäre, andere fernere wie Mauern und Ruinen alter Burgen. Diese erheben sich östlich immer mehr, und schliessen sich an die Sinaja Sobka an, welche ebenfalls aus Granit besteht.[38][38] Rose 1837/1842, I, 524 ff.

38Christian Suckow hat beschrieben, wie beeindruckt Humboldt von diesen Felsen gewesen sein muss, so dass sich seine Notizen über die Granitfelsen am Kolywansee in seinem späteren Werken niedergeschlagen haben:

Große Ansicht (Digilib)Abb. 7: Detail des Granits von den Felsen am Kolywan-See. Rose beschreibt diesen Granit und seine Verwitterungserscheinungen sehr ausführlich. Foto: F. Damaschun 2019.

In Asie centrale, anderthalb Jahrzehnte später, finden sich diese Notizen der unmittelbaren Feldforschung, nun nach allen Seiten reflektiert und wissenschaftlich diskursiv ausgearbeitet, folgendermaßen wieder: ‚Der Granit bietet die lehrreichsten Phänomene, die hervortretendsten Züge im geognostischen Gemälde des Altai dar.‘ Und Humboldt greift zu einer literarischen Finte, wenn er nun sich selbst aus seinem Reisejournal ‚zitiert‘, dabei einen in Wahrheit gar nicht existierenden ausformulierten Text vorgibt […]. Sieht man hier in Asie centrale praktisch den direkten Rückgriff auf das Reisejournal sowohl simuliert als auch in der Tat vollzogen, so nimmt Humboldt im wenig später (1845) erscheinenden ersten Band des Kosmos sogleich das Thema, nun in der sublimierten Form abschließender Einordnung und Gewichtung, wieder auf, und zwar an zentraler Stelle dieses Bandes, an der es dem Autor um die Darlegung der ‚vulkanischen Kräfte‘ geht, die ein geologisches Hauptsubstrat im Granit finden. Wiederum gleich eingangs der anderthalb Seiten Darlegung zum Granit, der Kolywansee.“ [39] [39] Suckow 2010.

Ridder, früher Riddersk (Altai), zwischenzeitlich Leninogorsk

39Riddersk wurde 1786 von dem russischen Bergbauingenieur Philipp Ridder gegründet und war eine der wichtigsten Bergbaustädte im heute kasachischen Altai. Heute werden mehrere Gruben von dem Bergbauunternehmen Kazzinc betrieben. Kazzinc ist zu über 50 % im Besitz des Schweizer Konzerns Glencore. Die Befahrung der Gruben von Riddersk war mit Schwierigkeiten verbunden, die Rose folgendermaßen beschreibt:

Große Ansicht (Digilib) Abb. 8: Reste der Krukowskaja-Grube in Ridder, befahren durch Humboldt am 11. August 1829. Auch diese Grube wurde aufgebrochen, Foto: F. Damaschun 2019.

Am Morgen des 11. August besahen wir die Grube; eine Unpässlichkeit aber, die mich schon vor der Abreise von Schlangenberg befallen und verhindert hatte, unterwegs auch nur die geringste Beobachtung anzustellen, hatte mich so entkräftet, dass ich genöthigt war, umzukehren. Herr v. Humboldt befuhr daher die Grube allein, und besuchte darauf noch die nahegelegene Krukowsche Grube; Herr Ehrenberg war schon am Morgen früh aufgebrochen, um eine Exkursion nach einer der höchsten Spitzen der Ulbinskischen Schneeberge, dem Prochodnoi Bjelock zu machen.[40][40] Rose 1837/1842, I, 570.

40Rose war also bei der Beschreibung der beiden Gruben auf Humboldts Berichte und auf Literaturangaben angewiesen. Dadurch sind die Ausführungen über die Lagerstätte sehr kurz ausgefallen. Humboldts Tagebuch enthält nur eine Notiz von 11 Zeilen auf Französisch. Sie beinhaltet im Wesentlichen Temperaturangaben und die Bemerkung, dass bei den sehr tiefen Temperaturen im Winter die Grubenwässer niemals gefrieren würden.[41] Rose übernimmt diese Angaben folgendermaßen: [41] Humboldt RST I, 48r

In der Grube soll sich nie Eis bilden, obgleich doch ausserhalb der Grube die Kälte im Winter so stark ist, dass das Quecksilber friert.[42][42] Rose 1837/1842, I, 572. Quecksilber gefriert bei -38°,83 C.

41Ehrenberg war mit dem Beobachten und Sammeln von Pflanzen in den umliegenden Bergen sehr erfolgreich. In seinem Tagebuch notiert er 30 Pflanzennamen.[43][43] Ehrenberg ERST, 42v f.

Miass, früher Miask (Ural)

42Die überwiegende Menge Gold wurde im Ural aus sogenannten Seifenlagerstätten durch Waschen gewonnen, bis auf das Goldbergwerk Berjosowski, das seit 1745 bis heute arbeitet und in dieser Zeit rund 96 Tonnen Gold lieferte.[44][44] Im 19. Jh. stammten rund 80% des Goldes aus Seifenlagerstätten.

43Die Seifenlagerstätten bei Miass gehörten zu den ertragreichsten des ganzen Ural. Humboldt beschreibt 11 Seifenwerke in seinem Tagebuch.[45][45] Humboldt RST I, 81r ff

44Über die Goldbergwerke in der Gegend von Miass schreibt Rose:

Im Ganzen betrug die Zahl der Goldseifen, die 1829 im Betriebe waren, 33, doch kannte man noch 93 Stellen in der Umgebung von Miask, wo sich noch unverritztes Seifengebirge findet, unter denen 50 eine reiche Ausbeute versprachen, so dass also die Goldgewinnung in der Gegend von Miask noch für lange Zeit gesichert ist. Die ganze Menge des gewonnenen Goldes beträgt seit der Entdeckung 1823 bis Juli 1829 249 Pud 27 Pfund 44 Sol. 491/4 Dol. […][46][46] Rose 1837/1842, II, 43. Die Fördermenge betrug demnach 4,08987 t.

45Am 4. September wurden allein 10 Seifenwerke besucht und beprobt. Rose beschreibt jedes einzelne sehr ausführlich bemerkt seine Besonderheiten und führt die Erträge auf.

46Humboldts Ausführungen sind zumeist auf wenige Zeilen beschränkt. Dennoch sind diese im Gegensatz zu denen vieler anderer Lagerstätten ungewöhnlich ausführlich.

47Das Seifenwerk Mariinskoi fällt Humboldt und Rose durch die Vielfalt der Gerölle[47] auf.[47] Unter Geröllen versteht man durch den Wassertransport gerundete Gesteinsbruchstücke.

48Humboldt:

Marinski an der Quelle der Miasta. berühmt wegen Varietät der Gerölle: dichter Grünstein mit Jaspisgängen, Serpentin, trachytartiger Granit (doch nicht glasiger Feldspat etwas Quarz sonderbare perlartige Construction voll Hölungen) Diesen Granit fanden wir daneben in einem Hügel gegen Mittag anstehen, theil weiß trachyt artig, theils in Porphyr übergehend, von Grünstein umgeben, den Grünstein durchbrechend![48][48] Humboldt RST I, 81v

49Rose:

Das Seifengebirge ist hier nicht weniger durch die Grösse seiner Trümmer, als durch die grosse Mannigfaltigkeit derselben merkwürdig. Am häufigsten finden sich hier Blöcke von schwarzem Kieselschiefer und einer feinkörnigen, graulichschwarzen Grauwacke, die mit Säuren schwach braust.[49] [49] Rose 1837/1842, II, 33.

50Des Weiteren untersucht Rose diese Vielfalt ausführlich und versucht, Rückschlüsse auf die Genese der Lagerstätte zu ziehen.

51Kurze Zeit nach dem Erscheinen des zweiten Bandes von Roses Reisebericht wurde 1842 in der Goldseife Zarewo Alexandrowskoi bei Miass ein Goldnugget mit einem Gewicht von 36,019 kg. gefunden. Es gehört damit in die Liste der weltweit größten Goldnuggets. Die Goldseife Zarewo Alexandrowskoi war schon zur Zeit der Russlandreise für ihre großen Nuggets bekannt. Das Original befindet sich im Moskauer Kreml. Cancrin schenkte Humboldt eine Kopie, der sie an das heutige Museum für Naturkunde übergab.[51] Eine weitere Kopie befindet sich im Mineralogischen Museum der Bergbauuniversität St. Petersburg.[51] Damaschun 2019.

In bestimmten Proportionen? Gold und Silber

Große Ansicht (Digilib) Abb. 9: Kopie eines Goldnuggets. Fundort des Originalnuggets mit einem Gewicht von 2 Pud, 7 Pfund und 92 Solotnik (= 36,019 kg), Zarewo Alexandrowskoi bei Miass, Ural, Russland (Inv.-Nr. 2008-19905, 37 x 28 x 10 cm). Zusammen mit dem Modell sind der Begleitbrief Georg Ludwig Graf Cancrins an Humboldt und der Brief Humboldts an Christian Samuel Weiss abgebildet (Mineralien- und Petrographisch-lagerstättenkundliche Sammlung, Archivmaterial Nr. 310-01 und 310-11). Foto: Hwa Ja Goetz, MfN.

52Auf Seite 79v von Humboldts Tagebuch sind Fragen in Verbindung mit den Goldvorkommen notiert, auch mit Verweisen auf andere Stellen im Tagebuch. Sein besonderes Interesse gilt dem Ertrag der jeweiligen Mine und dem Goldgehalt der dort verwaschenen Sedimente. Notizen zu den Goldgehalten und den Produktionsmengen finden sich an verschiedenen, verstreuten Stellen im Tagebuch. Rose hat diese Informationen in seinen Reisebericht übernommen.[51] Neben den rein ökonomischen Fragen, für die sich vor allem Humboldt interessierte, waren es für Rose wissenschaftliche Probleme, die er anhand der Goldvorkommen im Ural lösen wollte. Er hat Humboldt wohl bereits im Vorfeld darüber informiert. [51] Rose 1837/1842, II, 430 ff.

Ich wünschte daher die Gelegenheit, die sich mir bei der Bereisung der verschiedenen Goldseifen des Ural darbot, das gediegene Gold an Ort und Stelle sammeln zu können, nicht vorüber gehen zu lassen, um mich später durch eigene Untersuchung von der Richtigkeit der Boussingaultschen[52] Angaben zu überzeugen. Herr von Humboldt verwandte sich deshalb vor dem Antritt der Reise auf meine Bitte in dieser Angelegenheit bei dem Grafen von Cancrin, und dieser ertheilte auch darauf mit grosser Liberalität den kaiserlichen und Privatwerken den Befehl und die Erlaubnis, mir Goldproben für die Analyse, wo ich sie wünschen sollte, zu verabfolgen.[53][52] Jean-Baptiste Boussingault unternahm auf Humboldts Empfehlung ausgedehnte Forschungsreisen in Südamerika. Er stellte die Hypothese auf, dass sich Gold und Silber in festen Atomverhältnissen miteinander verbinden und somit chemische Verbindungen bilden. [53] Rose 1837/1842, II, 403 ff.

53Am Schluss des zweiten Bandes seines Reiseberichts widmet sich Rose verschiedenen übergreifenden Fragestellungen, so eben auch der chemischen Zusammensetzung des Goldes. Er untersucht Goldproben von 20 verschieden Fundpunkten im Ural und vergleicht sie mit Goldanalysen von Fundorten in Siebenbürgen und Kolumbien, den damals führenden Goldproduzenten. Seine Ergebnisse fasst er in folgenden Aussagen zusammen:

Gold und Silber kommen also auch in unbestimmten Verhältnissen mit einander verbunden vor, woraus nun mit Sicherheit folgt, dass beide Metalle isomorph sind. Diess Resultat ist demnach dem ganz entgegen, welches sich aus den Boussingaultschen Analysen [s.o.] ergiebt, wonach das Gold nicht zufällig, sondern stets in bestimmten Proportionen mit dem Silber verbunden ist.

Uebereinstimmend mit Boussingault, habe auch ich in dem gediegenen Golde kein ganz reines Gold gefunden. Es möchte daher wohl überhaupt in der Natur nicht zu finden sein.

Es ergiebt sich ferner, dass die verschiedenen Körner eines und desselben Seifenwerkes doch eine verschiedene chemische Zusammensetzung haben, ein und dasselbe Korn dagegen in seinen verschiedenen Theilen eine gleiche Zusammensetzung hat.

Man ist sowohl am Ural, als auch in Petersburg allgemein der Meinung, dass das Gold aus den Seifen reiner sei, und weniger Silber und andere fremde Beimischungen enthalte, als das aus den Gruben gewonnene Gold. Diess ist jedoch nicht durchaus der Fall […].[54][54] Rose 1837/1842, II, 402 ff.

54Humboldt bezieht sich im Werk Central-Asien auf Roses Analysen, wenn er die Bandbreite der Silbergehalte des Goldes in verschiedenen Lagerstätten beschreibt:

Das Gold der Beresowsker Gänge enthält nach Нrn. Roses genauen Analysen 6–8 Procent Silber, während das Gold des uralischen Schuttlandes im Allgemeinen zwischen 0.16 (Wäschen von Schabrowskoi bei Katherinenburg) und 9.12, ja selbst 16.13 Procent (Wäschen an der Buruschka bei Nijnei-Tagilsk) variirt. [55][55] Humboldt 1844, I, 311.

55Die Frage, ob Gold und Silber sich in festen Atomverhältnissen miteinander verbinden oder nicht, war durchaus von grundsätzlicher Natur. Wenn die Boussingault‘sche Vermutung stimmen würde, bilden Gold und Silber chemische Verbindungen, die mit Formeln beschrieben werden können – wenn nicht, bilden sie eine Legierung, in der der Gold- bzw. Silbergehalt beliebig groß oder klein sein kann. Die einzig praktische Auswirkung liegt eventuell darin, dass man bei der Gewinnung silberhaltigen Goldes nicht mit einem definierten Silbergehalt rechnen kann.

Resümee

56Zusammenfassend kann man zunächst feststellen, dass auf der Russlandreise eine fachbezogene Arbeitsteilung herrschte. Humboldts Aufzeichnungen enthalten zu einem großen Teil meteorologische Messungen, Temperaturmessungen in den Gruben und an den Grubenwässern, geographische Daten, wie Längen- und Breitengrade besuchter Ortschaften, und magnetische Messungen. Sein Tagebuch ist ein ständig fortgeschriebenes Arbeitsbuch mit Verweisen, Ergänzungen, Rückbezügen und Arbeitsaufgaben in Form von Fragen. Die Eintragungen wechseln zwischen Deutsch und Französisch, häufig mitten im Satz. Das erschwert die Lektüre. Auf diese Schwierigkeit weist auch Christian Suckow in seiner Arbeit aus dem Jahre 2009 hin.[56] Die Edition der Herausgeber Tobias Kraft und Florian Schnee erleichtert die Arbeit mit dem Tagebuch wesentlich. Die eher knappen Aufzeichnungen Humboldts zur Geologie sind sicher auch das Ergebnis der Diskussionen mit Rose. Es finden sich keine Widersprüche zu Roses zweiteiligem Reisebericht. Rose standen Humboldts Aufzeichnungen zur Verfügung; beide Forscher haben im Vorfeld der Veröffentlichung ausführliche Gespräche geführt. Rose muss ein sehr ausführliches Tagebuch beziehungsweise Feldbuch geführt haben; anders lassen sich seine detaillierten Beschreibungen – trotz der umfänglichen Verwendung von Literatur – nicht erklären. Seine genauen Beobachtungen und die daraus erwachsenen Analysen – auch an gesammeltem Material – erstaunen noch heute. Das belegen zum Beispiel Gespräche des Autors mit Geologen und Mineralogen von der staatlichen Bergbauuniversität St. Petersburg (Санкт-Петербургский горный университет). Noch heute gehören Roses Reiseberichte und Veröffentlichungen über die auf der Reise gesammelten Minerale zu den Standardwerken in Bezug auf den historischen Bergbau im Ural und Altai. Das ist nicht in erster Linie der Teilnahme Humboldts geschuldet.[56] Suckow 2010.

57Da Humboldts Tagebuch ursprünglich für ihn selbst bestimmt war, sind viele Notizen und formulierte Fragestellungen nur dann verständlich, wenn sie in Zusammenhang mit späteren Veröffentlichungen gebracht werden, und das nicht nur mit seinen eigenen.

Aufsammlungen

58Sowohl Rose als auch Ehrenberg haben auf der Reise gesammelt und Minerale, Gesteine, zoologische Präparate und Herbarbelege nach Berlin gebracht. Humboldt hat verschiedentlich Geschenke erhalten.

59Entsprechend dem Anlass der Reise und den besuchten Exkursionspunkten bilden Minerale und Gesteine das größte erhaltene Sammelkonvolut der russischen Reise.[57] Aus Anlass von Humboldts 250. Geburtstag wurde im Jahre 2019 wurde ein Sammelband zu den über Humboldt ins Museum für Naturkunde Berlin gelangten Minerale und Gesteine veröffentlicht.[58][57] Ein großer Teil der Herbarbelege Ehrenbergs ist im Zweiten Weltkrieg verbrannt s.u. [58] Damaschun/Schmitt 2019.

60Ralf Thomas Schmitt hat darin den mineralogischen Proben aus Russland in seiner Übersicht über die im Museum für Naturkunde befindlichen Humboldt-Proben einen längeren Abschnitt gewidmet:

Auf der Russland-Reise 1829 von Humboldt zusammen mit Gustav Rose und Christian Gottfried Ehrenberg sammelte im Wesentlichen Rose mineralogische und geologische Proben, so dass dieses Material im Kontext mit Humboldt zu sehen ist und deshalb auch in diesem Buch berücksichtigt wird. Dieser Bestand von Rose umfasst 604 Proben, davon 382 mit einem Etikett von ihm. Diese Stücke teilen sich auf in 422 Mineral- und 182 Gesteinsproben. Auch hier gibt es eine gewisse Unsicherheit, da Rose auf seinen vermutlich erst deutlich nach der Reise, wahrscheinlich erst in Verbindung mit der Erstellung der Reisebeschreibungen geschriebenen Etiketten weder die Herkunft von der Reise noch das Sammeljahr oder -datum anführt. Dies steht im Gegensatz zu vielen später von Rose z.B. in Schlesien gesammelten Proben, auf denen zumindest das Sammeljahr, oft auch das genaue Sammeldatum von ihm vermerkt wurde. Deshalb ist teilweise nicht mehr nachzuvollziehen, ob er diese Proben auf der Reise selbst gesammelt oder von Dritten auf der Reise oder in den nachfolgenden Jahren geschenkt bekommen hat; Letzteres ist zwar in seinen Publikationen zum Teil vermerkt, aber grundsätzlich nicht auf den Etiketten der Objekte aufgeführt. Zusätzlich hat Rose in Zusammenhang mit der Erstellung der Reisebeschreibungen auch älteres Material der Mineralogischen Sammlung neu bearbeitet und beschriftet, dies ist für 62 Proben insbesondere aus der Alten Russischen Staatssammlung und von Johannes Menge durch Etiketten von ihm belegt. Einen größeren zusammenhängenden Bestand unter den Gesteinsproben bilden 107 Tüten oder Röhrchen mit ›Goldsand‹. Hierbei handelt es sich um Sand-, Kies- oder Gesteinsproben aus Gold- oder Platinwäschereien, die zur Untersuchung der Goldführung und zur Klärung der Herkunft des Goldes bzw. Platins gesammelt wurden. Von Humboldt direkt stammen von der Russland-Reise bzw. aus deren Nachgang nur 23 Objekte, im Wesentlichen handelt es sich hierbei um Platin-/Platingruppenmetalle und um bedeutende Geschenke wie z.B. Meteorite, einen der ersten im Ural gefundenen Diamanten und einen Smaragd-Kristall, […]. Weitere neun Proben aus Russland kamen mit dem Vermerk »Nachlass Humboldt« in die Sammlung.[59][59] Schmitt 2019, 48 f.

Große Ansicht (Digilib) Abb. 10: Krokoit (rot) und Vauquelinit (schwarzgrün) auf Quarz, Berjosowski, Ural, Russland (Inv.-Nr 1999-8699, Länge des Krokoit- Kristalls ca. 1 cm). Foto Hwa Ja Götz (MfN).

61Das auf der Abbildung zu sehende Krokoit gehört zu den sehr seltenen Mineralen aus dem Goldbergwerk Beresowsk. In der Geschichte der Chemie spielt es eine wichtige Rolle: 1797 hat Louis-Nicolas Vauquelin in dem Krokoit von Beresowsk das Element Chrom entdeckt.[60][60] Vauquelin 1798.

62Außer Mineralen und Gesteinen wurden auch zoologische Objekte, Pflanzen und Münzen gesammelt. Sie befinden sich im Museum für Naturkunde, im Botanischen Museum der Berliner Universität (heute Freie Universität Berlin) und im Münzkabinett der Staatliche Museen zu Berlin.

Briefe an und vom Geldgeber während der Reise

Leider geht das Gute im Schneckenschritt, das Übel fliegt[61][61] Cancrin an Humboldt in einem Brief vom 19./31. Juli 1829 (Humboldt/Cancrin 1869, 78 ff.).

63Humboldt fühlte sich natürlich seinem Geldgeber gegenüber verpflichtet, über den Fortschritt und über Teilergebnisse der Reise möglichst schnell zu berichten. So korrespondierten Humboldt und Cancrin schon während der 260 Tage dauernden Reise miteinander. Insgesamt sind 18 Briefe Humboldts und drei Briefe Cancrins bekannt[62]; das heißt, Humboldt hat etwa alle 14 Tage einen Brief an Cancrin geschrieben. [62] Humboldt/Cancrin 1869.

64Humboldt war seit seiner Amerikareise dafür bekannt, dass er Sklaverei und Leibeigenschaft strikt ablehnte. Um Cancrin nicht zu kompromittieren, versichert er ihm, sich zurückzuhalten:

65„Es versteht sich von selbst, daß wir uns beide [gemeint sind Humboldt und Rose] nur auf die todte Natur beschränken und alles vermeiden was sich auf Menschen-Einrichtungen, Verhältnisse der unteren Volksklassen bezieht: was Fremde, der Sprache unkundige, darüber in die Welt bringen, ist immer gewagt, unrichtig und bei einer solchen complicirten Maschine, als die Verhältnisse und einmal erworbene Rechte der höheren Stände und die Pflichten der untern darbieten, aufreizend ohne auf irgend eine Weise zu nützen![63] [63] Humboldt/Cancrin 1869, 73 ff.

66Eine ähnliche Aussage macht er auch in der Widmung seines Werkes „Zentralasien“ an den Kaiser.[64][64] Humboldt 1844, Widmung.

67Cancrin ist sich durchaus der teilweise unmenschlichen Verhältnisse in den Bergwerken und andernorts bewusst, indem er antwortet:

Ich bin ganz Ihrer Meinung, wenn Sie sich nur wenig mit den politischen Verhältnissen der Ural-Bewohner beschäftigen wollen, nicht sowohl wegen der Schwierigkeit die Art oder Unart solcher althistorischen Verhältnisse zu erforschen, als wegen der Kläglichkeit der menschlichen Dinge, wo die Masse immer der Gewalt, der List oder dem Geld hörig ist. Laute Klagen führen daher zu Nichts; man muß in der Stille wirken, so viel thunlich, den Menschenzustand zu bessern[65][65] Humboldt/Cancrin 1869, 78 ff.

68Humboldt hält sich strikt an die Mitteilung der beobachteten Fakten in den Gruben und in den Werken und macht technische Verbesserungsvorschläge.

69In seinem Brief vom 9./21. Juni[66] beschäftigt sich Humboldt mit der komplizierten Wasserführung in den Goldgruben von Beresowsk und schlägt Lösungen vor. In den Tagebüchern sind dazu keine Aufzeichnungen zu finden. Sie enthalten „nur“ die üblichen Messungen von Luftdruck und Temperatur. Rose erwähnt diese Probleme ebenfalls: [66] Humboldt 2009a, 135 ff.

Die Wasser werden durch einen Stollen abgeführt, der auf der Blagoweschtschenskischen Grube nur die sehr geringe Teufe von 9 Lachtern einbringt. In grössern Teufen unter dem Stollen wird jetzt nicht gearbeitet. Vor der Entdeckung des Goldsandes hatte man die Grube bis zu einer Teufe von 6 Lachtern unter der Stollensohle gebracht, und das sehr reichlich zufliessende Wasser durch eine Dampfmaschine auf den Stollen gehoben; nach dieser Zeit hat man die Arbeiten in den tiefern Theilen der Grube eingestellt, und die Dampfmaschine abgetragen, da die Gewinnung des Goldes aus dem Goldsande viel leichter und einträglicher ist.[67][67] Rose 1837/1842, I, 219.

70Der Herausgeber des Briefwechsels, W. von Schneider, fasst dessen Inhalt in den „Bemerkungen zu den Reisebriefen[68] zusammen. Es ging letztlich um die Frage der Arbeitskräfte und um den Holzmangel im Ural. Cancrin und andere Minister haben versucht, die von Humboldt angeregten Reformen umzusetzen, scheitern aber letztlich an den gesellschaftlichen Verhältnissen in Russland.[68] Humboldt/Cancrin 1869, 147 ff.

Veröffentlichungen zur Reise

71 Bekanntermaßen ist der ursprünglich geplante, dreiteilige Reisebericht nie erschienen. In einem Brief aus Jekaterinburg vom 5./17. Juli an Cancrin deutet Humboldt bereits an, dass er wegen „Überlastung“ Rose auffordern wird, die Bearbeitung der Lagerstätten zu übernehmen.

Meine noch nicht ganz publicirte Reise nach der Tropen-Gegend des Neuen Coninents, eine neue Bearbeitung meine Werkes über Schichtung und Lagerung der Gebirgsarten, zu der mir der Ural viel Materialien liefern wird, die Herausgabe meines Collegiums über physische Weltbeschreibung, zwingen mich, nur das Allgemeine, die größeren Ansichten enthaltend, zusammenzudrängen, zugleich aber werde ich, da eine specielle Charakterisirung und Analyse der Fossilien[69] von einem Manne von ausgezeichnetem Rufe Ew. Excellenz doch angenehm sein wird, Prof. Rose auffordern, das Einzelne der Localitäts-Verhältnisse und der chemischen Untersuchung des Gruben- und Waschgoldes und anderer Metalle in einer besonderen Schrift auszuarbeiten.[70][69] Unter Fossilien verstand man nicht nur Lebens-Überreste, sondern auch Minerale und Gesteine. [70] Humboldt/Cancrin 1869, 73 ff.

72Nach der Rückkehr ging Humboldt noch weiter und bat Rose, den gesamten Reisebericht zu übernehmen. Rose ist wohl nicht unbedingt freudig darüber gewesen, aber was sollte er tun. Er hatte bis zum Erscheinen des zweiten Bandes seines Reiseberichts 19 Artikel mit den Ergebnissen der Reise veröffentlicht. Wegen des späten Erscheinens gab es auch den Vorwurf, dass die Reise keine Forschungs-, sondern eine Staats- und reine Sammelreise gewesen sei.[71][71] Petzschner/Men’šenin 1960, 170–171.

73Ein Bericht von Ehrenberg über die Pflanzen- und Tierwelt[72] ist nie erschienen. Das lag vielleicht auch daran, dass Ehrenberg zwar viel gesammelt hat (s.o.), sein Material aber, im Gegensatz zu den Mineralen und Gesteinen, nicht viel Neues ergeben hat.[73][72] Eine Ausnahme ist Ehrenbergs Arbeit über den Schneeleoparden (Ehrenberg 1830). [73] Humboldt schreibt an August Böckh: „Ganz Sibirien ist eine Fortsetzung der Hasenheide“ (Humboldt an Böck [1840] in: Hoffmann 1901, 418).

74Trotzdem blieb die Reise für die weitere Arbeit Ehrenbergs nicht ohne Bedeutung: in seinem Reisetagebuch erwähnt er des Öfteren „Infusorien Beobachtungen“. [74] Ehrenberg hatte begonnen, sich mit mikroskopisch kleinen Lebewesen zu beschäftigen, damals als Infusorien bezeichnet. Dazu nutzte er bis Anfang der 30er Jahre ein achromatisches Mikroskop von Charles Louis Chevalier. [75][74] z.B. Ehrenberg ERST, 36r [75] Zu den von Ehrenberg genutzten Mikroskopen vgl. Damaschun 2021.

75 Eine Schlussrechnung in Ehrenbergs Reisetagebuch verweist auf den Posten „Reparatur und Einpacken des Microscops 20 Reichstaler“. [76] Daraus ist zu schließen, dass er sein „Chevalier“ auf die Reise mitgenommen hat. Da er Reparatur und Einpacken zusammen erwähnt, ist anzunehmen, dass dies vor der Reise erfolgt ist. Das „Chevalier“ befindet sich heute in der Ehrenbergsammlung im Museum Barockschloss Delitzsch. [76] Ehrenberg ERST, 92v.

76In seinem ersten großen Werk über die „Infusorien“ schreibt Ehrenberg dazu im Vorwort:

Auf dieser von Herrn v. Humboldt beabsichtigten […] Reise […] beobachtete ich mit grosser Aufmerksamkeit auch die mikroskopischen Lebensformen. Die Vergleichung der afrikanischen, arabischen und europäischen Gestalten, die ich sämmtlich in Zeichnungen festgehalten hatte, und ihrer Verhältnisse gab das 1830 sogleich nach der Rückkehr publicirte, diesem Werke zum Grunde liegende, Resultat, wobei das gelungene Füttern der Thierchen mit Farbe als Erläuterung sehr behülflich, aber nur Folge des schon Erkannten war. Diese Beobachtungen sind in den Abhandl. der Berl. Akad. d. Wiss. 1830 und auszugsweise in der Isis 1830. p. 168. und 758. angezeigt worden. Seitdem sind 1831, 1833 und 1835 am ersteren Orte weitere, meist nur übersichtliche, Details publicirt worden. Das ganze Material, die ganze Basis jener Mittheilungen lege ich hiermit erst zur weiteren Benutzung vor.[77][77] Ehrenberg 1838.

77Im Textband zu seinem Werk beschreibt er viele dieser Lebewesen und bildet sie im Tafelband ab.[78][78] Ehrenberg 1838.

78 1843 erscheint Humboldts dreiteiliges Werk Asie centrale: Recherches sur les chaines des montagnes et la climatologie comparée in Paris auf Französisch [79] ; bereits ein Jahr später die von Humboldt autorisierte deutsche Übersetzung von Wilhelm Mahlmann. [80] In diesem Werk bindet Humboldt die Ergebnisse der Reise in einen größeren Zusammenhang ein und versucht eine geographische Beschreibung weit über die besuchten Regionen hinaus. Sicher ist das Werk auch als die literarische Erfüllung seines lebenslangen Traumes von einer großen Expedition in das Innere Asiens zu sehen, vergleichbar mit der amerikanischen. [79] Humboldt 1843. [80] Humboldt 1844.

79Besonders im ersten Teil „Untersuchungen über die Gebirgssysteme und die vulkanischen Phänomene Inner-Asiens“ untersucht er vor allem den Altai und den Ural. Er bezieht er sich bei den Lagerstätten und Gesteinsvorkommen sehr stark auf die in Roses Reisebericht veröffentlichten Ergebnisse und erwähnt bzw. zitiert ihn insgesamt 42-mal; Ehrenberg dagegen nur 3-mal. Im zweiten Teil „Specielle Orographie von Asien“ werden die Gebirge behandelt, die er nicht besucht hat. Humboldt stützt sich dabei wesentlich auf Literatur. Rose wird deswegen auch nur 4-mal erwähnt, Ehrenberg überhaupt nicht.

80Die Texte Humboldts sind nach heutigen Maßstäben etwas schwer zu lesen, weil er geographische, geologische, historische und etymologische Aussagen sowie Vergleiche mit anderen Weltgegenden munter miteinander vermischt. Da zu seiner Zeit die, für die Gebirgsbildung so entscheidenden Prozesse der Kontinentaldrift noch nicht bekannt waren, halten nicht alle seine Erkenntnisse heutigen Betrachtungsweisen stand.[81][81] In den Texten kann man erkennen, dass Humboldt Anhänger der Hebungstheorie seines Freundes Leopold von Buch war.

81Die stärkste Verbindung des Werkes mit Humboldts Tagebuch findet man im dritten Teil „Klimatologische Untersuchungen“. Hier bringt er all seine Messungen ein, die er auf der Reise durchgeführt hat. Er vergleicht sie mit Messungen anderer Forscher und führt ausführliche Fehleranalysen durch, auch seiner eigenen Messungen. Rose, den er 14-mal erwähnt, spielt nur insofern eine Rolle, indem er anführt, mit ihm Messungen durchgeführt zu haben.

82Humboldt geht natürlich über die reine Wiedergabe von Messergebnissen hinaus. Besonders ausgiebig beschäftigt er sich mit dem Klima in Abhängigkeit von der geografischen Lage, wobei er die Ursachen für die Besonderheit des Kontinentalklimas erklärt.

83Sehr genaue Angaben macht er zu seinen magnetischen Messungen. Hier beschreibt er jeden Messpunkt sehr ausführlich. Das ist bei magnetischen Messungen wichtig, da Gebäude und vor allem größere Eisenmassen wie z.B. Kirchenglocken die Messungen beeinflussen können. Diese Beschreibungen korrespondieren mit den Eintragungen im Tagebuch:

Tabelle aufklappen   Tabelle einklappen
Tagebuch (1829) Central-Asien (1844)

84„allé à l’est du Village
du Schlangenberg. Dans cet
endroit loin des cabanes
l’église du Schlangenberg a été relevée
hora 7,6 Distances 1458
de mes pas (à 2 pies 2 pouces)“

85ging zum Osten des Dorfes
Schlangenberg. An diesem
Ort weit weg von den Hütten
wurde die Kirche von Schlangenberg abgelesen
hora 7,6 Entfernungen 1458
von meinen Schritten (auf 2 Pies 2 Zoll)
[82][82] Humboldt RST I, 44v

86„Am Ostabhange des Altaï, das berühmte
Schlangenberger Bergwerk. Ich habe auf freiem Feld
bei der Karaulnaja Gora, in 65 Toisen Entfernung östlich
von der Schlangenberger Kirche beobachtet. Sehr gute Beobachtung:
66° 5.5'. Nach Umkehrung der Pole fand sich,
dass beide Nadeln fast bis auf 0.8 Minuten übereinstimmen.[83][83] Humboldt 1844, II, 275.

Tabelle aufklappen   Tabelle einklappen
Tagebuch (1829) Central-Asien (1844)

87„allé à l’est du Village du Schlangenberg. Dans cet endroit loin des cabanes l’église du Schlangenberg a été relevée hora 7,6 Distances 1458 de mes pas (à 2 pies 2 pouces)“

88ging zum Osten des Dorfes Schlangenberg. An diesem Ort weit weg von den Hütten wurde die Kirche von Schlangenberg abgelesen hora 7,6 Entfernungen 1458 von meinen Schritten (auf 2 Pies 2 Zoll)[TEST][TEST] Humboldt RST I, 44v

89„Am Ostabhange des Altaï, das berühmte Schlangenberger Bergwerk. Ich habe auf freiem Feld bei der Karaulnaja Gora, in 65 Toisen Entfernung östlich von der Schlangenberger Kirche beobachtet. Sehr gute Beobachtung: 66° 5.5'. Nach Umkehrung der Pole fand sich, dass beide Nadeln fast bis auf 0.8 Minuten übereinstimmen.[TEST][TEST] Humboldt 1844, II, 275.

90Für seine magnetischen Messungen sind nicht nur die Beschreibung des jeweiligen Messortes, sondern auch seine genaue geografische Position wichtig. So nimmt Humboldt eine große Zahl von Ortsbestimmungen vor, die ebenfalls in sein Werk eingehen.

Große Ansicht (Digilib) Abb. 11: Humboldt gibt im dritten Teil seines Buches die Schneegrenzen für verschiedene Gebirge in Asien an, so auch für die Berge in der Umgebung von Ridersk (heute Ridder). Das Bild zeigt einen sog. Spülteich mit Resten der Erzaufbereitung des heutigen Bergbaus in Ridder. Im Hintergrund schneebedeckte Berge Anfang Juni. Ridder selbst liegt etwa 750 m hoch; die umliegenden Berge erreichen Höhen von über 2700 m. Foto: F. Damaschun, 7. Juni 2019.

91 In Central-Asien berichtet Humboldt voller Stolz über den Aufbau eines geomagnetischen Messnetzes in Russland. Die Einrichtung, die bereits Leibniz angeregt hatte, wurde auf seine und Adolph Theodor Kupffers Initiative hin verwirklicht. Kein Land war dazu besser geeignet als Russland, da es sich damals über mehr als 140 Längengrade ausbreitete. Humboldt schreibt dazu:

Der Wunsch Leibnitz', dass in dem ungeheuern russischen Reiche regelmässig und zu bestimmten Zeiten die lnclinations- und Declinations-Phänomene beobachtet werden möchten, ging im Jahre 1829 in Erfüllung. Durch die ehrenvolle Munificenz [Freigiebigkeit] der russischen Regierung wurde eine lange Kette von magnetischen und meteorologischen Stationen quer das ganze nördliche Asien, von St. Petersburg, Кasan und der Ural-Kette bis an die Ufer des Amur und am Stillen Ozean, gegründet.[84][84] Humboldt 1844, 292.

Schluss

92 Die russische Reise Alexander von Humboldts im Jahre 1829 war bezüglich der geowissenschaftlichen Ergebnisse eine der ertragreichsten Unternehmungen ihrer Zeit. Die wissenschaftlichen Ergebnisse haben direkt Eingang in zwei bedeutende Publikationen gefunden: den zweiteiligen Reisebericht Gustav Roses Mineralogisch-geognostische Reise von 1837 und 1842 [85] und Alexander von Humboldts Asie centrale von 1843, sowie dessen deutsche Übersetzung von 1844. [86] Christian Gottfried Ehrenberg hat keinen zusammenfassenden Bericht veröffentlicht, seine Beobachtungen und die von ihm gesammelten Proben haben u. a. Platz in seinen großen Werken über die Infusorien gefunden. [87] Der Reisebericht des russischen Begleiters Dimitrij Stepanowitsch Menschenin wurde im Mining Journal (Горный журнал) veröffentlicht. [88] Grundlage für alle Veröffentlichungen waren die von den Teilnehmern geführten Tage- bzw. Feldbücher. Die beiden erhaltenen Tagebücher von Humboldt und Ehrenberg zeigen, dass es eine fachbezogene Arbeitsteilung zwischen den Teilnehmern gab. Sie geben Auskunft über die Arbeitsweise Humboldts und Ehrenbergs. [85] Rose 1837/1842. [86] Humboldt 1843 und Humboldt 1844. [87] z.B. Ehrenberg 1838 [88] Petzschner/Men’šenin 1960.

93Auch bezüglich der Aufsammlungen war die Reise sehr erfolgreich. Im Zusammenhang mit der Reise kamen 604 Mineral- und Gesteinsproben in die Mineralogische Sammlung der Berliner Universität (heute Museum für Naturkunde Berlin). Ehrenbergs Herbarbelege gelangten in das Botanische Museum der Berliner Universität (heute Freie Universität Berlin), seine zoologischen in das Zoologische Museum Berlin (heute ebenfalls Museum für Naturkunde).

94Es hat sich gezeigt, dass auch historische Sammlungsobjekte zur Lösung aktueller Fragen in der Mineralogie und Bergbauwissenschaft beitragen können. Ein Beispiel sind die von Rose nach Berlin gebrachten 107 Tüten oder Röhrchen mit Goldsand. Es sind dies die ältesten erhaltenen Proben der Gold- und Platinwäschen im Ural. Es besteht die berechtigte Hoffnung, dass mit ihnen etwas mehr Licht in die noch nicht vollständig geklärte Entstehungsgeschichte dieser Lagerstätten gebracht werden kann.

95Die russisch-zentralasiatische Forschungsreise von 1829 ist demnach nicht nur von wissenschaftshistorischem Interesse, sondern trägt bis heute zur Klärung aktueller wissenschaftlicher Fragen bei.

Anmerkungen

Die Erstellung der Datenbestände der edition humboldt digital ist ein fortlaufender Prozess. Umfang und Genauigkeit der Daten wachsen mit dem Voranschreiten des Vorhabens. Ergänzungen, Berichtigungen und Fehlermeldungen werden dankbar entgegengenommen. Bitte schreiben Sie an edition-humboldt@bbaw.de.

Zitierhinweis

Damaschun, Ferdinand: „Ich werde Prof. Rose auffordern das Einzelne der Localitäts-Verhältnisse auszuarbeiten“ . Die wissenschaftliche Arbeitsteilung während der russischen Reise 1829. In: edition humboldt digital, hg. v. Ottmar Ette. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. Version 9 vom 04.07.2023. URL: https://edition-humboldt.de/v9/H0020375


Download

 Dieses Dokument als TEI-XML herunterladen

Kanonische URLDieser Link führt stets auf die aktuelle Version.

https://edition-humboldt.de/H0020375

 

Über den Autor

 

Ferdinand Damaschun

Museum für Naturkunde, Berlin

Ferdinand.Damaschun@mfn.berlin

Ferdinand Damaschun, geb. 1950, 1980 Promotion im Fach Mineralogie an der Humboldt-Universität zu Berlin, 1974-2015 am Museum für Naturkunde Berlin, zuletzt als Stellvertreter des Generaldirektors.

Ferdinand Damaschun, born 1950, 1980 PhD in mineralogy at the Humboldt University of Berlin, 1974-2015 at the Museum für Naturkunde Berlin, last as Deputy Director General.