| 50r
De Paris à Toulon
1798
| 50v
[...]| 51r
[...]| 51v
Note by the author (inserted at the top)für Willdenow in Marseille gesam̅let 65 Species.
Der Editor's note David Blankenstein
Vgl. dazu Kortum 2001, 33:
Kurz vor seiner Abreise nach Südamerika erwarb Humboldt zur Ergänzung seiner
Instrumentenausrüstung ein ganz besonderes
Präzisions-Taschenchronometer, gefertigt von dem berühmten
Schweizer Uhrmacher Louis
Berthoud […] mit der Fertigungsnummer 27. Dieser
Zeitmesser ging, wie Humboldt durch astronomische
Vergleichsmessungen in Frankreich und Spanien auf der Anreise zum Einschiffungshafen
La Corunna
1799
feststellte, außerordentlich genau. Möglicherweise
verwendet Humboldt hier dieses Berthoud'sche Chronometer.
[Close]Chronometer
avancirte am 22 Frimaire 7.
um 12 heures
um 10″,4 vor der mittleren Marseiller Zeit. Er eilt in 24 Stunden von selbst 1″,3–1″,5 vor.
Nicolas Guille, Barcellone, calle della Ciudad número 17.
Francois Gomis (Herman Roosen in Hamburg)
[Start columns][...] . Paragua.
[New column]schreibe an Wilhelm nach Paris bis 15 Junius .
[End columns]mon pendule fait à Madrid 85 oscillations dans 1 minute de tems.
Inclinaison Madrid 75° 20′ oscillations 24 en 1 minute.
Der Chronometer retardirt täglich 4″,4./14 Mai.
Don
Thomas de la Guardia. Editor's note Christian Thomas
Die hier genannte Person konnten
bisher nicht identifiziert werden.
[Close]Don
Josef de Miqueli
}
Havana.
| 52r1.
Note by the author (inserted at the top) Soll nicht gedrukt werdenDer 24. Oktober 98. war zu unserer Ankunft in Marseille
bestimmt. So lange hatte Herr Skoldebrand die Schwedische
Fregatte aufzuhalten versprochen. Erst am 12ten gab mir le Clerc, Lareveillere’s Freund, mit dem ich bei Thouin frühstükte die Gewißheit daß an die
Reise um die Welt nicht mehr zu denken sei. Ich las
an demselben Tage mein Mémoire über den Akkerbau
im National-Institut. Jussieu hielt mir eine kurze aber feine Abschiedsrede.
Wir wollten den 17ten
reisen. Die Trennung von den Professoren im Jardin des plantes
wurde mir schwer, alle interessirten mich, ich sie außer dem
eiteln und kleinlichen Faujas. Die
Empfindung mit der ich von Baudin schied war sonderbar. Der Seemann sagte, es sei
eine aus einander gegangene Heirath. Wir glaubten 3 Jahre
lang auf einem Boothe dicht neben einander zu wohnen. Er sollte
mir befehlen, ich mich in seine Launen schikken. Wie anders war es
mir als ich den ersten Abend ins Hôtel de
Dan̅emarc (rue Helvétius)
ging, um ihn zu besehen! Es ist mir indeß noch heute, als würde
ich noch einmal mit ihm zusam̅entreffen. Der Abschied wurde dadurch
rührend, daß der Timonier,
der sich mit uns einschiffen sollte mir mit besonderer Treuherzigkeit
die Hand drükte. So jung sein, sagte er und so früh in seinen Hofnungen scheitern, das ist doch unrecht (injuste). Armer
Mensch, als wenn man im reiferen Alter unabhängiger vom Schiksale wäre! Im Marais war der Abschied
kalt. Editor's note Humboldt 2000 und Dominique Freyssenède
D. i. Elisabeth-Aglaé Leblanc de Pommard,
die Mutter desjenigen Pommard, der dem Astronomen Delambre bei seinen Messungen geholfen hatte und den
dieser nicht an den Astronomen Lalande abtreten wollte; vgl. Ephemeriden 1798, 173 sowie Humboldt
1993, 121 und Register. Vgl. zur Identifikation der
Madame Pommard auch Humboldt
1973, 643, Anm. 1 und 2.
[Close]Madame
Pommard(?)
war in Courzel
und
Bufeau interessirte mich nur als ein Mensch
von Geist und reger Einbildungskraft. In der Empfindung begegneten wir uns
nie. Von jungen Leuten verließ ich Editor's note Humboldt 2000 und Christian Thomas
Tenard und Robiquet waren damals wohl Studenten des Chemikers
Fourcroy, bei dem
sie in der rue des Bourdonnais
wohnten (Vgl. dazu eine Liste Humboldts mit Pariser Adressen in ART II u. VI, Bl. 98r).
[Close]Tenard ungern. Auch
Robiquet that mir leid, da er sehr an mir hing und mein Weggehen das ganze Gebäude seiner liebsten Hofnungen
einriß. Paganels Pedantereien
zwangen uns, erst am 20sten zu | 52v2.
reisen. Ich war mit Arbeiten bis in den lezten Augenblikken überhäuft, aber meine Stimung blieb
heiter. Ich trat nie eine Reise mit so gutem Muthe an. Diese Stimung verdanke ich größtentheils meinem Bruder
und der Li. Fremde Stärke erhebt.
Der Abschied war tiefempfunden. Als
die Li.
Editor's note Christian Thomas
Wahrscheinlich ist Theodor (geb. 1797),
möglicherweise auch Wilhelm
Alexander von Humboldt (geb. 1794) gemeint.
[Close]den Kleinen zu mir emporhob hätte ich fast die Haltung verloren. Aber
es war nur auf einen Augenblik. Wir blieben alle wie man in solchen Momenten des Lebens sein soll.
Ein Unwesen mit vergessenen Barometerröhren stöhrte ein wenig. Aber wir kamen noch früher zur diligence
als nöthig war. Editor's note Humboldt 2000
Der Bildhauer
Christian Friedrich
Tieck hatte Wilhelm von Humboldt und seine
Familie
im Oktober 1797 nach Paris
begleitet.
[Close]Thik
und
Editor's note Humboldt 2000
Gotthelf Fischer von
Waldheim begleitete 1797 Wilhelm von Humboldt und seine
Familie
von Dresden nach Paris; vgl. Humboldt über ihn in
Humboldt 1973 und
Büttner
1956.
[Close]Fischer
waren beide mit uns. Es lag mir schwer auf der Seele wie die
Neigungen der Menschen sich ändern. Lezterer ließ mich kalt und der erste, den ich noch in Dresden
haßte, war mir jezt sehr sehr lieb. Ich sah mir Bonpland
an mit dem ich eine so weite Reise unternehmen
sollte. Welche Verheirathung. Die Diligence
fuhr fort. Meine Augen sahen Wilhelmen am längsten. Er sah sehr heiter aus und das that mir unendlich wohl. Die lezte Miene eines Menschen
ist so wichtig für den Eindruk den er zurükläßt. Wessen Leben, wie das meinige, ein ewiges Anknüpfen und Trennen ist, fühlt das so tief. Bis Lyon brauchten wir 4 Nächte, von denen wir eine (die erste) im Wagen zubrachten. Elende Gesellschaft.
Boivin, ein Brandweinhändler in Montpellier, wie es schien sehr
reich, aber so geizig, als sinnlich. Er wußte nie ob er essen
oder
fasten
sollte. Er hatte in Paris 30 Duzend redingotts
gekauft, welche ihm seine Reise bezahlt machen sollten. Er wollte meines Bruders Addresse haben, weil er meinte durch ihn sich den debit des großen Editor's note Humboldt 2000 und Christian Thomas
In Paris gab es um 1800 einen
Tuchhändler Sandoz, der ein Lager von
bedrucktem Kattun in der rue
Quincampoix hatte; vgl. Bergeron 1978, 183.
Wilhelm von
Humboldt war gelegentlicher Gast bei dem preußischen
Gesandten in Paris
David-Alphonse
Sandoz-Rollin oder empfing dessen Besuch; vgl. Humboldt, W. v. 1922/18,
I, 378, 481 und 640. Ob einer dieser beiden Sandoz
oder eine andere Person bzw. Familie hier gemeint ist, konnte nicht
mit letzter Sicherheit geklärt werden.
[Close]Sando(?)zischen Hauses zu verschaffen. Mittags den 20sten in Melun. (Wir fuhren durch Editor's note Humboldt 2000 und Christian Thomas
Humboldt hat am
(2. bzw.) 3.6.1798 der von J.-B.
Delambre durchgeführten Meridianvermessung zwischen
Melun und
Lieusaint
südlich von Paris als Zeuge
beigewohnt, vgl. dazu den Eintrag in der
Alexander von Humboldt-Chronologie zum 2. Juni 1798. Sie
war ein Teil der Entfernungsmessung zwischen Dünkirchen und Barcelona, mit deren Hilfe der
Erdumfang und die Länge des Urmeters festgestellt werden sollten.
Humboldt berichtet ausführlich darüber in einem Brief an Franz Xaver von Zach (Humboldt 1973, 632f.);
vgl. auch Humboldt
1990, 67.
[Close]Lieursaint. Der
Stubben
beim
Signal!) Abends in | 53r3.
Villeneuve. Den 21sten Mittags in Auxerre, Abends in
Lucie le bois. Von
Auxerre an bis Chalons begleitete uns ein
junger Kaufmann aus Solingen, der alle Editor's note Ulrich Päßler und Christian Thomas
Humboldt 2000, 44, liest
Jakobis und deutet dies als Hinweis auf die
Familie des Philosophen Friedrich Heinrich Jacobi, vgl. die Erläuterung
ebd., 445. Dagegen konnte inzwischen die Lesung Jakobins an dieser Stelle gesichert
werden, und bezieht sich demnach auf Jakobiner, d. h. die Anhänger bzw. Mitglieder eines der
politischen ‚Clubs‘ zur Zeit der französischen Revolution.
[Close]Jakobins
dem Namen nach kannte, und imer To(?)bak schmauchte. 22sten Mittags in Saulieu Abends Arney
le Duc. Ein Mensch mit Klumpfüßen, der sich imer die
Lenden puzte und von seinen Eroberungen sprach. Er kannte das ganze National-Institut, alle Pflanzen und Insekten der Welt …. Er sprach von Gazellen und Rehen, die er im Vivarais geschossen. Editor's note Humboldt 2000
Kasuare leben in
Australien und Neuguinea.
[Close]Casuare sollten in den Ceven̅en
sehr gemeine Vögel sein. Als ihn der Brandweinbrenner fragte was eine Gazelle
für ein Thier sei, sagte er, sie habe vier Hörner und gleiche den wilden Schweinen, die bisweilen auch gehörnt seien, vorzüglich in den Pyrenäen! 23.
Mittags in Chalons ein deutscher Kellner, ehemals
Kam̅erdiener und als solcher auf dem Richtplaze selbst erst pardonirt. Man
hatte ihm den rothen Mantel schon umgethan. Abends in Macon. Auf der Saone: eine Dame, deren Eroberung der Klumpfuß machte. Sie war in
allen Départements
umhergereist, kannte alle Armeen und war erst 19–20 Jahr alt; ein Weinhändler aus Dijon, der in Deutschland
gereist war, sehr verständig aber voll von der Gnaden die ihm der
baron de Stauffenberg
und
Editor's note Christian Thomas
Johann
Aloys zu Oettingen-Oettingen und Oettingen-Spielberg
und Kraft Ernst zu
Oettingen-Wallerstein.
[Close]die Prinzen von
Oettingen erwiesen; Gronier, Officier in
der italienischen
Armee, ein sehr sehr ausgezeichneter Mensch, den ich wohl mehr zu
sehen wünschte. Klein, gedrungen, viel Geist und Ausdruk im Gesicht. Schlecht gekleidet lag er, als wir von
Macon am frühen Morgen
abfuhren, in der Cajüte. Ich hielt ihn für einen
Seidenwü(?)rker aus Lyon. Einer aus der Gesellschaft
sagte es seien gewöhnlich kaum 10–12 voyageurs (er meinte vornehmere Menschen) in der Barke,
daher brauche die Cajüte nicht so groß zu sein. Gronier
fragte was
die anderen Menschen wären, wenn er nur 12 voyageurs zähle.
Diese keke Antwort machte mich aufmerksam auf ihn. Man sprach von weiblicher Tugend. Er
vertheidigte mit wirklicher Beredtsamkeit die Möglichkeit männlicher
Keuschheit. Was er sagte zeigte Tiefe der Empfindung, Geist,
Besonnenheit,
aber auch un
| 53v4. bändige Heftigkeit
der Leidenschaft. Der Krieg hatte ein Gemisch von Rauheit und Weichheit in ihm erzeugt, welches seinen Umgang überaus
intressant machte. Er war nie
in Paris gewesen,
kannte aber die politischen Lagen überaus gut. Er sprach
mit Entzükken von dem Editor's note Humboldt 2000, David Blankenstein und Christian Thomas
In Paris erschien 1789 ein anonymes Buch La
Passion, la Mort et la Résurrection du Peuple (La Reynie 1789), das
gleich nach seinem Erscheinen vom Pariser Parlament verboten
wurde. Es veröffentlichte sogleich dagegen einen Arrêt […] qui condamne un Imprimé ayant
pour titre: La Passion […], à
être lacéré et brûlé par l’Exécuteur de la
Haute-Justice, comme impie, sacrilège, blasphématoire
& séditieux. (Scan verfügbar:
Bibliothèque nationale de France, Gallica). Darüber hinaus könnte durchaus auch das
1796 erschienene De L'Influence Des Passions
Sur Le Bonheur Des Individus Et Des Nations der
Madame de Staël (Staël 1796) gemeint
sein, wofür der Zusammenhang mit de Staëls Freund Benjamin Constant de
Rebecque spricht.
Humboldt 2018, 12,
deutet dagegen den Hinweis auf das Buch über die passions als Hinweis
auf Paul et Virginie des im Tagebuch
Humboldts unmittelbar anschließend genannten Henri Bernardin de St. Pierre, was
im Vergleich zu dem hier aus Humboldt 2000, 445
übernommenen Verweis auf La Reynie 1789 weniger plausibel erscheint.
[Close]Buche über die passions, von Bernard de St Pierre, von
Constant
…. Seine
Phantasie war im̅er mit Bildern aus den schönen Zeiten der Freiheit
erfüllt. Er wollte im Sommer nach
Paris gehen, um dort
Medicin und hauptsächlich Chemie zu
studiren. Wenn das Schiksal ihn begünstigt (er schien kaum 22 Jahr alt
zu sein) so kann sein Name nicht unbekannt bleiben. Denn alles
kündigte etwas außerordentliches in ihm an. Ich brachte einen
angenehmen Mittag mit ihm in Beauregard zu und wir trennten uns in Lyon am 24sten
als wären wir lange mit einander gewesen. Beim Aussteigen im Editor's note David Blankenstein und Dominique Freyssenède
Entweder bezieht sich
Humboldt hier auf ein Hotel dieses Namens an der Saône (2 rue du Plat) oder auf das
Palais de Roanne (auch Palais royal genannt) am Ufer der Saône, an dessen Stelle sich heute
der Palais de justice historique de Lyon befindet.
[Close]Palais royal fing Boivins
einen schreklichen Zank mit den Trägern an. Der Weinhändler aus
Dijon fühlte ganz das Unfeine dieses
Benehmens. Ungebeten trug er meinen
Koffer selbst ans Land. Ich dankte ihm
für seine Gutmüthigkeit und er sagte zu meinem großen Erstaunen „für Menschen die für
die Wissenschaften leben, man dergleichen gern.“
Er sagte es mit einer Art, welche diesen Worten einen großen Werth gaben. Editor's note Humboldt 2000, David Blankenstein und Dominique Freyssenède
D. i.
Marie-Barbe de la Tour, geb. Buffault. Humboldt schrieb ihr noch in
der Nacht vom 24. zum 25. Oktober 1798 kurz vor
der Weiterreise einen Brief des Bedauerns, ihre Wohnung in
Lyon durch falsche
Auskünfte in der Eile nicht gefunden zu haben (Humboldt 1973,
642f.).
[Close]Madame
la Tour verfehlte
ich.
Hôtel Dieu. Am 25sten Morgens 2 Uhr
fuhren wir von Lyon
weg. Ein junger Neufschateller Kaufman und ein alter Kerl mit einer wahren Spizbubenphysiognomie begleiteten uns.
Wir aßen Mittags in dem schweinischen Péage, Abends in Valence. Hier vergaß uns der Conducteur
und fuhr mit der leeren diligence weg. Wir
mußten von 12 bis 2 Uhr 1 Meile weit bis zur Paillasse
nachlaufen. Zum Glük war es Mondschein, doch war der Chronometer
in einem Lande in Gefahr, wo man
täglich mordet und raubt. 26sten
aßen wir Nachts in Avignon, den
27.
Mittags in Lambesc. Vor Aix gesellte
sich
ein Chaussewärter zu uns, der anfangs sehr republikanische Formen affek
| 54r5. tirte, bald darauf
aber, da er nicht Wie(?)derstand fand, uns seine vormalige aristokratische Größe bei dem Editor's note Humboldt 2000
Einen Marquis
de Galliffet zitiert Humboldt im Zusammenhang mit dem
zahlenmäßigen Anteil der Sklaven an der Bevölkerung von San Domingo (Humboldt 1814/25, III,
413). Einen Hinweis auf eine Verbindung mit dem hier genannten
Comte Galifet gibt es nicht.
[Close]Comte Galifet schilderte, wo er Koch, Stellmacher, Portraitmahler und Lakkirer gewesen war. Er sezte selbst hinzu, daß in der
Provinz die Künste selten in der Vollkom̅enheit, als im Auslande
ausgeübt würden, weil man sich fast mit zu
vielen Zweigen abgeben müsse. Am 27sten
Abends um
6½ Uhr trafen wir in Marseille ein. Die Idee, daß Herr Sköldebrand vielleicht schon
abgereist sei, hatte uns ununterbrochen auf dem Wege gequält, wir
wußten hundert Trost- und
Schrekkensgründe dafür und
dagegen. Wir wollten noch denselben Abend in den Hafen laufen, um
nach Schwedischen Schiffen zu fragen. Alle
unsere Besorgniße waren gehoben, als wir ins Posthaus traten und als
der Postmeister uns Skoldebrands
Wohnung selbst anzeigte. 28sten
(Hôtel des ambassadeurs) brachten wir den
Morgen nicht ohne Unruhe mit visiren der Pässe zu. Der Commissaire des relations
extérieures Herr Guys,
Thouins Freund, hob bald unsere
Besorgnisse. Den Abend berechnete ich mit Bonpland
(zuerst)
Barometerstände. Der Preußische
Consul Sauvages aus Prenzlau visirte mit großer Mühe
meinen Paß. Eine ächt preußische
Editor's note Christian Thomas
Vgl. Humboldt 2018, 13:
hier: Erscheinung.
[Close]Tournure, unbekannt mit allen Berliner Verhältnissen, aber voll von den Excellenzen
die er aus dem Kalender auswendig gelernt. 29sten pakten wir die Instrumente aus, ein fürchterlicher Anblik, der Theodolith in Stükken, eben so das éboulloir
und fast alle Thermometer.
Ich war einige Stunden lang beschäftigt, zerbrochene Instrumente auszupakken. Bonpland
verlor mehr den Muth, als ich. Ein Spazirgang
am Hafen ließ mich alles vergessen. Bei Tische fanden wir unten 20
Personen, 8–10, die Deutsch sprachen. Die Elsäßer
stritten sich mit den Lothringern, wer die angenehmere Aussprache habe und ein Leipziger
Jude, der lange in der Spandauer Straße in Frankfurth an der Oder gewohnt haben
wollte, wurde als Sachse zum Schiedsrichter aufgerufen. Ein
Charlatan, der
| 54v6. Hühneraugen
schneidet, trat herein. Auch er war ein Deutscher aus Bamberg. Kann man doch nie seinen
Mist vergessen. 30sten. Eine reiche Herborisation
an der Küste. Viel Fuci. Den
Mittag zu Herrn Tuilis, dem Direktor der Seesternwarte. Er war sonst Kaufmann in Cairo, ein kleiner mit der Revolution unzufriedener Mann,
aber sehr gefällig. 31sten. Ich beobachtete mit großer
Genauigkeit die Inclination der
Magnetnadel. Dann zu Tuilis. Er bildete mir durch falsche Rechnungen
ein, mein Chronometer habe 1′48″ variirt. Das ließ mich sehr
unruhig schlafen. (Abends am 30. in der Comödie.
Unendlicher Knoblauchgestank.) 1. November
Morgens nach
Mordon. Herborisiren an der
Küste, keine Fuci aber schöne Cistus. Unerträgliche Hize bei der
Rükkehr. Mittags bei Editor's note Humboldt 2000
Die Familie Sauvage wird unter den deutschen Familien
genannt, die sich in Marseille
niedergelassen hatten. Vgl. die Anmerkung zu Fölsch
unten und Carrière 1973, 278 und
929.
[Close]Sauvage. Schändlicher Aristokratismus der Consuls. Editor's note Humboldt 2000
Die Herren von Lilien
hatten den Freiherrentitel am 24.12.1756 für Franz Michael
Florentin von Lilien erhalten, der Generalintendant
sämtlicher Reichs- und niederländischer Postbetriebe war. Die
Familie war in ihren Verzweigungen in Westfalen, Bayern und Österreich ansässig. Franz Joseph Michael
von Lilien, der Begründer der Linie zu Opferdick, war
Erbsälzer zu Werle und Neuwerk in Westfalen. Er war im Jahre 1798 75 Jahre alt. Es
kann jedoch nicht gesagt werden, ob es sich bei ihm um die von
Humboldt erwähnte Person handelt, zumal sich kein Zusammenhang mit
Anklam ergibt und die
Tatigkeit eines Baron von Lilien in Borneo, wo die Niederländer von 1606
bis ins 18. Jahrhundert Faktoreien an der Westküste unterhielten,
nicht nachzuweisen war.
[Close]Baron von Lilien aus Anklam, in Holländischen Diensten, einst Gouverneur in Borneo, geschwäzig wie Editor's note Humboldt 2000
Ernst Freiherr von
Dacheroeden, der Bruder Caroline von Humboldts. Er hatte den
Spitznamen das Sternbild.
[Close]das Sternbild, 75 Jahr alt, aber nicht ohne Bücher-Kenntniß. Monsieur
de Saussure
war ihm un tout jeune homme de 50 ans
und mich wollte er 1762 in Berlin gekannt haben. Er hat ein Mineralienkabinett.
Busnak, ein Schwager von Editor's note Humboldt 2000 und Christian Thomas
An anderer Stelle
im selben Band seiner Amerikanischen Reisetagebücher, in den auch
das vorliegende Tagebuch Paris-Toulon
eingebunden wurde, notiert sich Humboldt die Adresse eines
Jacob Coen Bacri rue de la loi,
maison du Nord,
numéro 323. (Vgl. ART II u. IV, Bl. 109r). Vermutlich ist dieser identisch mit der hier
Baggeri genannten Person.
[Close]Baggeri, ein türkischer Jude, dem
man 400000 Editor's note Humboldt 2000 und Christian Thomas
Das
Währungszeichen ₶ steht für livres bzw. seit der Französischen Revolution für francs. In Humboldts Handschrift ähnelt das
dafür verwendete Zeichen einem hochgestellten Doppelkreuz bzw.
Raute-Symbol (#); zur
Repräsentation des Zeichens innerhalb der vorliegenden Edition wird
der (hochgestellte) Unicode Character livre tournois sign (U+20B6)
verwendet.
[Close]₶
gestohlen.
Editor's note Humboldt 2000 und David Blankenstein
Schwedische und
deutsche Protestanten hatten von dem Angebot des arrêt vom 24. Marz 1726 Gebrauch
gemacht, der ihnen die Niederlassung in französischen Häfen
gestattete (Rambert
1954, 531 ). Zu den deutschen Familien, die sich als
Kaufleute in Marseille
angesiedelt hatten, gehörte auch die Familie Fölsch (Carrière 1973, 744). Für
die Mitte des 18. Jahrhunderts ist das Handelshaus des
Henri-Jacques Fölsch bekannt (Carrière 1973, ebd.), der
möglicherweise identisch ist mit mit Jacque
Folsch, von dem Rambert 1954 (ebd.) sagt, dass er in der Mitte de 18.
Jahrhunderts schwedischer Konsul war. Der Sohn des
Henri-Jacques Fölsch, François-Philippe, hat sich
nachweislich 1779 in Schweden aufgehalten (Carrière 1973, ebd.).
Längere Auslandsreisen gehörten zum Geschäftsgebahren der Marseiller
Kaufleute. François-Philippe
Fölsch war um 1798, ebenso wie sein Vater zuvor,
schwedischer Konsul in Marseille.
[Close] Fölsch , Schwedischer Consul in Uniform, ein feines aber arrogantes
Wesen. Er wußte mir nichts zu sagen, als daß ich die Wege im Orient weit schlechter als in
Frankreich finden
werde. 2. November (12 Brumaire). Morgens bei Tuilis auf der
Sternwarte. Dort ein Editor's note David Blankenstein
Perrückenmacher; übertragen aus dem Französischen
perruquier (vgl. dazu z. B. den entsprechenden
Eintrag im CNRTL)
Further information
[Close]Perrüquier
der jezt Professor einer Seeschule ist, dem Tuilis einigen mathematischen Unterricht gegeben und der (was wohl noch nie ein
Further information
[Close]Perrüquier gethan) ein Schif ohne zu Landen von Isle de France nach Martinique geführt. Er versicherte sich
mit einem hölzernen Sextanten die Länge bis auf 1″ zu bestimmen. Madame
Tuilis
lief herum, um Emigranten zu retten. Drei
sollten von dem permanenten Kriegsgerichte (drei morden sie(?)
täglich) gerichtet werden. Das Volk nen̅t das eine Editor's note Humboldt 2000
Vereinigung dreier
Personen, Trio, Kleeblatt.
[Close]terne. Bei Tische ein weißer Sachse aus Leipzig der versicherte, der Bergrath Ferber zu
Freiberg sei einer der
ersten Deutschen Dichter. Nachts wie seit 3 Nächten heftiges Gewitter, Don̅er, Bliz und Sturm. 3. November (13 Brumaire) morgens eine weitre(?)
und sehr reiche Herborisation auf den Hügeln hinter der Stadt. Wir fanden viel Eichen, Pistacien
p.
Die Garde champêtre wollte mich arretiren
weil ich (auf die getrokneten Pflanzen deutend) gewiß von dem Zeuge in
fremde Länder sende. Zum Glük hatt’ ich meinen Paß bei mir. Bei Tische ein Bruder des General
Marceau, von un
| 55r7.
bedeutender Physiognomie. Einer seiner Freunde,
der viel Verstand verrieth, und den weißharigten
Leipziger in die
Bordels geführt, sagte: die Deutschen reisten umher und ruhten nicht eher, als bis sie alles beschnüffelt
hätten. Sie wollten überall eingeführt sein, wenn sie aber einmal wo
gewesen wären, würden sie gewöhnlich nicht genugsam geehrt und
dann schrieben sie Bücher gegen Frankreich. Editor's note Christian Thomas
Humboldt spielt hier darauf an,
dass nach der Niederlage gegen Napoleons Truppen im März 1798 unter anderem drei
Bären aus der Stadt Bern durch
Soldaten der revolutionären Republik Frankreich nach Paris entführt wurden, was von den besiegten
Schweizern als zusätzliche Demütigung empfunden
wurde.
[Close]Der hätte die(?)
Berner Bären ken̅en müssen. Auf dem Kastel wurden 2 neutrale Schiffe signalisirt, die uns sehr in Unruhe sezten. Es waren
Dänen. Die Zeitungen ließen uns gar fürchten, der Sturm habe die
Fregatte nach Gothemborg
zurük getrieben. 4.
November bis 9ten (14.–19.
Brumaire)
immer noch in Marseille
und ziemlich einförmig. Wir gingen herborisieren,
schnitten Krebse und Muscheln, ich zeichnete
sie.
Alle Mittag nahm ich Sonnenhöhen. Nur auf dem Abtritt konnte ich die
Sonne sehen. Die Neugierde schafte mir Besuch und der Abtritt war 3 Tage lang so voll, daß ich fast gehindert
war. Mit Editor's note Humboldt 2000 und Christian Thomas
Vermutlich handelt
es sich um den bei Baillie
1951 nachgewiesenen E. Barthet, einen
Fabrikanten von Seechronometern aus Marseille, von dem Instrumente von ca. 1840 im
Uhrenmeumseum des Londoner
Rathauses (Guildhall) erhalten
sind.
[Close]Barthés (place de la
Editor's note Christian Thomas
Zu den hier auf Bl. 55r und Bl. 55v verwendeten farbigen
Markierungen und den durch Rechtecke eingefassten Großbuchstaben
A, B, C und
D vgl. z. B. Humboldt 2018a,
666f.
[Close]B
liberté) einem Uhrmacher, den Tuilis zum Mechanikus gebildet, brachte ich den Theodolit wiederum zu Stande. Der Bruder ist liebenswürdig und
bescheiden. Casati, der zweite Sohn, in
der Chokoladenfabrik, machte mir Thermometer
zu drei Skalen. Wir brachten, da Eis fehlte,
künstliche Kälte mit Glaubersalz und
Salpetersäure zu −8° hervor. Der junge Mensch ist aufmerksam und verspricht viel. Den 10ten November (20 Brumaire) wagten wir es mit der Diligence
zu gehen. Skoldebrand
sollte uns, falls die Fregatte ankam, eine
Staffette nachschikken und ob die Diligence
gleich 10 lieuex in 12 Stunden zurüklegt,
so kann man
mit der Post doch in 6 Stunden Nachricht haben. Wir fuhren Nachts um 2½ heures weg. Mademoiselle?
Mariette, die bonne amie eines Editor's note Christian Thomas
Zu den hier auf Bl. 55r und Bl. 55v verwendeten farbigen
Markierungen und den durch Rechtecke eingefassten Großbuchstaben
A, B, C und
D vgl. z. B. Humboldt 2018a,
666f.
[Close]A
französischen Generals der in Italien kommandirt,
jezt lebt sie mit einem jungen Capitaine, der eben
in Toulon
angekom̅en war und dem sie (ohne, vielleicht selbst wider seinen Willen) nachreiste.
Alle(?)
diese Verhältnisse ließ sie leicht errathen, gab sich dabei aber airs
von einem großen Hause das sie in Marseille halte, in dem man tanze, Editor's note Christian Thomas
Zu den hier auf Bl. 55r und Bl. 55v verwendeten farbigen
Markierungen und den durch Rechtecke eingefassten Großbuchstaben
A, B, C und
D vgl. z. B. Humboldt 2018a,
666f.
[Close]D in
dem sich alle vornehmen Damen
versam̅elten …. Herr Buonafuss, ein jovialer fetter
Kaufmann aus Beaucaire
löste das Rätsel.
Die Damen, sagte
er, seien
ebenfalls Huren,
und die Gesellschaft sei eine Spielgesellschaft, in
der man junge Leute ausziehe und welche das Gastmal bestreite(?).
Uebrigens war die kleine Frau recht angenehm, freundlich, von sittsamem Aeußeren und gar guter Laune. Buonafuss
sagte, sie
sei aus Chambery und
habe selbst etwas Vermögen, daher | 55v8. sie in ihren Liebeshändeln mehr ihren
Leidenschaften als dem Gewinn folge. Ihr schwarzer Mops hatte ebenfalls
alle Prätensionen einer petite
maîtresse. Leider! denn wir hätten es gern vermieden, war auch Lomet aus Agen, Exprofessor der
école polytechnique
unter Monge und
Adjudant général bei der
Pyrenäen-Armee, unser Gesellschafter,
ein verkappter, unzufriedener Terrorist, von widrigen Formen,
schmuzig, alles erfragend, auf alles schimpfend und,
wie er von sich sagte, voll großer und kühner Gedanken. Er schien mit dem
Editor's note Christian Thomas
Vgl. Humboldt 2018, 16:
Wohlfahrtsausschuss des Nationalkonvents zur Zeit der
Französischen Revolution, eingerichtet 1793.
[Close]Comité du Salut public zusammen gehangen zu haben.
Sein ewiger Discurs bestand im Schimpfen auf das Gewürm der jezigen
Architekten und Ingenieurs. Frankreich soll nicht einen einzigen besizen. Selbst Monge verstehe nicht den praktischen
Theil der
Géométrie descriptive, Prony sei ein Ignorant, Guyton ein
Schwäzer und
Jussieu nebst Desfontaines (von
der Architektur gingen wir jedesmal zu allen NaturW(?)issenschaften über)
verdienen ihre Stellen nicht. Da er Editor's note Humboldt 2000
Lomet 1795.
[Close]ein Buch über Bareges geschrieben, ein Buch das er mir mit vielem Pathos übergab und
wovon er noch 2000 Exemplare zu besizen rechnete, so erinnerte ihn
jeder Ziehbrunnen, ja fast jeder Mensch, der Editor's note Christian Thomas
Zu den hier auf Bl. 55r und Bl. 55v verwendeten farbigen
Markierungen und den durch Rechtecke eingefassten Großbuchstaben
A, B, C und
D vgl. z. B. Humboldt 2018a,
666f.
[Close]C sein Wasser abschlug, an das, was er ein monument thermal nannte. Er selbst kann Häuser bauen, Kanäle,
Festungen, ist Feldherr, Kupferstecher, äzt ein Glas besser als
jemand in der Republik, mahlt Landschaften, drukt Kattun, analysirt Fossilien — kurz, es fehlt ihm nichts,
weil
er(?) dazu „une immense fortune“ besizt, die ihn
alle Ehrenstellen erreichen macht. Was ich sagte, denn er hatte, Editor's note Humboldt 2000
Gemeint sind die
schmerzhaften galvanischen Experimente, die Humboldt an sich selbst
anstellte, indem er durch Auflegen von Blasenpflastern auf dem
Rücken Wunden erzeugte. (Vgl. den Brief an Blumenbach vom 17.11.1795, in: Humboldt 1973,
471.)
[Close]wegen der Blasenpflaster eine große Idee von mir, schrieb er auf kleine Zettelchen,
leider aber verlangte er gleiche Ehre auch für seine Reden und da er sah, daß ich eben nicht Anstalt dazu machte, versprach
er auf meinem Zimmer die Quintessenz
zu wiederholen. Für einen Tag wäre der
Mensch lustig genug gewesen (um sich bei mir zu introduciren, zeigte er
mir, daß er ein
Stük Zink in der Börse
trage), aber 3 Tage, das war sehr hart.
Wir aßen in Cuges
und kamen Abends 6 heures
in Toulon an. Der Weg
ist abscheulich und am Berg Sainte Anne romantisch schön. Die Felsmassen von
Uriule
erinnern an
Castleton. Croix de
Malthe. Guys hatte uns Empfehlungsbriefe an den General Vins, dessen Neffe in seinem | 56r9.
bureau ist, mitgegeben. Der General war
verreiset. Die Frau empfing uns sehr artig, schlug aber alles ab und ohne Buonafuss der uns zu dem
Erzterroristen, dem Präsidenten der Municipalität Editor's note Humboldt 2000
Napoleon hatte während seines
Aufenthaltes in Toulon zur
Vorbereitung seines Äqyptenfeldzugs (9.-16.5.1798) das Militar
angewiesen, nur Konspirateure, nicht aber Greise, Frauen und Kinder
hinzurichten. Sofort nach seiner Abreise setzte die Terrorwelle
wieder ein. Sie hielt bis Ende Dezember 1799 an; vgl. Havard 1912, 302–305. Ein
Präsident des Magistrats von Toulon namens Crassoux wird an
dieser Stelle nicht erwähnt.
[Close]Crassoux führte, hätten wir das bassin
nicht gesehen.
Abends aßen wir mit 2 Officieren, die aus
Genua kamen (der
eine glich einem Castraten) und 3 Seeleuten von denen einer 35, einer 20 und einer 14–15 Jahre alt war; alle drei
auf dem Editor's note Humboldt 2000
In der Schlacht bei
Abukir am 1.8.1798 wurde
die französische Flotte von den Engländern unter Nelson geschlagen. Die
französische Namensform lautet Béquiers. Sie beruht
auf dem arabischen Namen für die dazugehörige unterägyptische
Provinz Behaira, auch Bahireh oder
Al Buhayrah. – Die von Humboldt erwahnten drei
Matrosen hatten auf dem französischen Kriegsschiff Aquilon gekämpft.
[Close]Aquilon in der Schlacht bei Bequieres gefangen und in Neapel von den
Engländern auf ihr Ehrenwort losgegeben. Es war widrig, daß die ganze
Tischgesellschaft der armen
Seeleute spottete. Diese schoben alles auf die Undisciplin der Matrosen und besonders auf den Umstand, daß man den
Matrosen nicht schlagen dürfe. Gar artig war es, daß der älteste
Seeofficir unter vielem Fluchen das Glük der Engländer anklagte. Alles gelinge diesen und das Aequinoctium selbst habe diesmal keinen
Sturm gebracht, damit die Engländer
ihre durchlöcherten Schiffe sicher heimführen konten. Unter diesem Schimpfen sprach er doch wieder mit
Begeisterung von der Disciplin und Ordnung der englischen Flotte. Diese Inconsequenz, dieses
Streben, dem Zufall zuzuschreiben was allein der Klugheit zugehört und dann dabei die abgezwungene Bewunderung eines so überlegenen und gewandten Feindes gab dem lebhaften, hizigen Gespräche sonderbare
Wendungen. Bei dem Namen Dupetit Thoy(?)ris
schrien alle laut auf. Er hat sich allerdings das Blut stillen und auf
das Verdek tragen lassen um bis zu seinem Tode zu commandiren. Die beiden jungen Leute,
Brüder, beide aus Editor's note Humboldt 2000
Rochefort, südöstlich von La Rochelle an der französischen
Atlantikküste, hatte
ebenfalls viele für die Seefahrt wichtige Einrichtungen, darunter
ein Arsenal und eine Schule für Hydrographie und
Schiffsmedizin.
[Close]Rochefort, hatten interessante Bildungen. Der jüngste sprach nicht eine
Silbe. Im 14ten Jahre der
Schlacht bei Bequieres
beigewohnt zu haben! Wie müßte solche Erfahrung auf ein regsames Gemüth
einwirken. Die halbe Nacht beschäftigte mich der Gedanke.
Bonpland
konnte ich es nicht begreiflich machen, daß in
diesem Schiksal etwas bewunderns(?)werthes liege! 11 November(?) (21 Brumaire)
Wir besahen das Arsenal,
ein kleiner Saal mit bretter(?)nen Verzierungen, die herrlichen Corderies, ein sogenanntes Modellkabinett,
5 Schritt lang und 3 breit voll Austernschalen
und Conditorarbeit, die versunkenen Linienschiffe, und
| 56v10. das herrliche
steinerne Bassin von Grooniard mit dem
Schiffe, das wie ein
Muschelventil die Schleuse schließt. Alles öde und leer, nichts als
Gefangene, von denen man jezt
5000 hier zählt, in Rochefort sind
3000,
viele(?)
wegen Meinungen, alle auf eichenen
Brettern schlafend. Sie sollen jezt fast gar nicht geschlagen werden,
sonst hing man sie zur Strafe an den Armen 20–30 Fuß hoch auf. Ein Gefangenwärter sagte, auch an den
Beinen,
an
verum. Das Ganze des Hafens verdient das Rühmen gar nicht, welches man
davon macht. Ich sah nirgends Größe oder
Pracht. Venedig war
weit weit schöner. Doch schrie Buonafuss, wie alle Franzosen (wenn
sie die Thuilerien
ansehen) bei jedem Schritte, „alles dies ist nur in Frankreich zu sehen.“
Chariatiden
von Puget am Rathhause. Die Stadt ist elend klein, nur der Hafen hat
eine freundliche Lage, obgleich man nirgends das freie Meer sieht
und auch die Felsen weder romantisch
noch imponirend durch ihre Masse sind. Mittags zwei Kastilianer und ein Ingenieur-Officir (ich glaube Bonnet) der Lomet wie ein Orakel anhörte und eben so dumm als unwissend zu sein schien. Er versicherte daß
seines Wissens nie der Terrorismus geherrscht habe, das Blut,
das geflossen, sei gerecht geflossen. So eine Schändlichkeit hatte ich noch nie
gehört, so lange
ich in Frankreich war. Ich erhizte mich sehr gegen ihn und da er einzulenken suchte, drehte ich ihm den Rükken zu.
Der Mensch war so schwach als
schlecht. Er wurde sichtbar verlegen und schien zu glauben,
Lomet
und ich würden an seinem Untergange arbeiten. Nach Tische
besahen wir die äußere und innere Rade, bestiegen den Admiral, le Hardy, ein altes Linienschiff von 74 Kanonen,
auf dem die Marseiller Signale, zu unserem Troste wiederholt
wurden für die Fregatte la Boudeuse, welche Bougainvilles
Weltumseeglung mitgemacht. Sie wurde eben
seegelfertig gemacht, um einige Kauffartheischiffe nach Marseille zu convoyiren, wohin sie in 5 Stunden zu segeln hoffte. Alle Mannschaft war auf dem Verdek, alles
regte sich und spannte die Segel. Es wurde
mir so wohl und weit ums Herz, alles fortwärts gehen zu sehen. Als ich aber
in die Kajüte herabstieg, ein großes geräumiges
Zimmer, da fiel mir Baudins Reise
schwer auf die Seele. Ich lag 10 Mi
| 57r11.
nutenlang
im Fenster und sah auf den hellen Spiegel.
Die anderen vermißten mich endlich. Ich hätte weinen können, indem ich so lebhaft an den gescheiterten Plane dachte! – ein
botanischer Garten bei Toulon
ist gar schön, und gut gehalten. Zwischen den Beeten fließt Quellwasser! Cactus und Yucca
im Freien. Der Citoyen
Robert, Sohn des Gärtners, schien in Montpellier
studirt zu haben. Er hat alles, ziemlich richtig, benannt und geht jezt nach Paris, sein Studium fortzusezen. Er sprach mit angenehmer
Bescheidenheit von seinen Ken̅tnissen.
12 November (22 Brumaire) morgens mit Lomet
nach Hyeres. Die Stadt
von schändlicher Bauart liegt an einem Hügel,
auf dessen Gipfel die Ruinen eines Schlosses. Gegen das Meer hin
ein Berggelände voll Orangengärten und Oelbäumen. Am Ufer nicht Felsen, sondern grüne, schönbewachsene Hügel.
Aber die Ansicht des Meeres ist minder schön als bei Marseille. Die Inseln
liegen wie Därme, als einförmige kahle Bergrükken vorgestrekt
und lassen das offene Meer nur in einem Zwischenraume sehen.
Garten des Citoyen
Lafille der berühmteste. Die goldenen
Aepfel hingen 100weise an den Zwergbäumen, die, damit die Aeste nicht brechen,
gestüzt sind. Die Blätter der Orangen sind hier minder steif, größer
und wellenförmiger, als in den Treibhäusern. Sterculia platanifolia
und
Phönix dactilifera
in einem Garten 18 Fuß hoch.
Tatters
Name war hier in frischem Andenken. Beim Zuhausefahren gab uns ein
alter Capitaine seinen kleinen kurzen dikken Sohn mit.
Unbegreiflich daß wir erst in Toulon selbst, nach 3 Stunden
am Busen merkten, daß der Sohn ein Mädchen und zwar eine Maîtresse aus Rom war, in der That nicht hüpsch genug,
um sie so weit mitzuschleppen. Sie
stieg in Toulon am
Thore aus. Wir glaubten sie wisse bescheid. Abends sehr spät kam der Capitaine zu uns, um uns zu fragen, was wir mit seiner Frau (in der
Angst des Suchens vergaß er die Masquerade) angefangen. Sie sei für ihn
verschwunden. Abends Theater, ein abscheulicher langer Saal und welche Musik! In allen Zwischenakten republikanisches Gezänk. Wer still und friedsam leben will, der
verlasse das südliche Frankreich. Alles erinnert
hier an die Schrekkenszeit und 2
| 57v12. Menschen sprechen
nicht ¼ Stunde mit einander ohne daß nicht das Gespräch auf den Partheigeist der Revolution falle. Toulon
übertrift noch Marseille an Roheit und Brutalität in den bureaux.
13 November (23 Brumaire) zurük nach Marseille bei fürchterlichem kalten Nordwest. Ein Kaufmann aus Paris, ziemlich gemein,
sehr gutmüthig und schlicht. Er verstand etwas de Editor's note Ulrich Päßler und Christian Thomas
Humboldt 2000, 50,
wertet la botaniste als Schreibfehler und
korrigiert zu la botanique, da an dem weiblichen
Artikel erkennbar sei, dass es sich um eine Verschreibung handle
(vgl. ebd., 447). In der vorliegenden Edition des Textes wurde
dagegen la botaniste belassen, da Humboldt hier
möglicherweise die wörtliche Rede des Kaufmanns bewusst ebenso
falsch wiedergibt, wie dieser sie geäußert hatte.
[Close]la botaniste, weil er
alle Festtage im Jardin des plantes spazieren gehe und vom National-Institut
beklagte er, daß es zu wenig
eleven habe. Lomet schimpfte wie gewöhnlich auf die Ingenieurs,
rühmte das unendliche Brunnenhaus, das er für Bareges gezeichnet und erzählte von einer Reise durch die Editor's note Humboldt 2000
Wörtlich „sandige,
auch sumpfige Gegend; Heide, Steppe“.
[Close]Landes de
Bordeaux
wo er „ganze nomadische Horden wilder
Franzosen, wilde Ochsen und wilde
Pferde die alle ohne Obdach leben“, gesehen hatte. Ein wilder Franzose
ist wirklich eine wundersame Sache. Auch sprach er viel von 500 Fuß hohen Sandhügeln die alle
Jahre 50 toisen weiter marschiren und
in 200 Jahren die Stadt Bordeaux verwüsten werden. Der Kaufmann versicherte
indeß (was mir merkwürdig genug wäre) daß auf den Inseln beim Ausfluß
der Rhone, unfern Arles, verwilderte Kühe geschossen werden, die im Freien
kalben. an
verum. 14 November (24 Brumaire)
im̅er vergeblich geharrt. Der Wind war günstig. Bucciniten
anatomirt und gezeichnet, die Tabelle über die Editor's note Humboldt 2000
ART V, Bl. 66r, 68v, 69v enthält Notizen zur Luftanalyse in Salzburg.
[Close]Analyse der Luft in Salzburg vollendet. Bei Tische: Die Editor's note David Blankenstein
Hier wohl: Lieferantin.
[Close]Fourniseuse mit der Lomet scharmirt hatte,
fürchterliche Zähne und voll widerwärtiger Prätensionen. Sehr angenehm und von sanftem Ausdruk das Mädchen des Colonels
Miquel.
15.
November-29sten (25.
Brumaire-9.
Frimarie) immer mit Harren zugebracht. Skoldebrand
hatte den Plan, wenn die Fregatte am 1 December
nicht käme, ein Finländisches Schiff mit uns für 360 Piaster zu nehmen, um seine Frau nicht
länger zu exponiren. Indeß blikten wir unverwandt nach Editor's note Humboldt 2000
Humboldt meint die
höchste Erhebung am Hafen von Marseille, Notre Dame de
la Garde (vgl. auch Bl.
59r), auf der eine Festung stand. Von hier aus wurde der
Stadt die Ankunft aller Schiffe signalisiert. Sie wurde auch Notre Dame de la Mer genannt. Heute steht an
dieser Stelle die berühmte Kirche Notre Dame de la Garde.
[Close]notre Dame des
signaux. Einmal (ich war auf dem Observatorium)
wurden 15 neutrale Schiffe und eine Fregatte signalisirt. Wir waren alle auf den Beinen. Es war ein hochmastiger
Korsar. Indeß kam die Nachricht, der
Dey habe der Republik den Krieg erklärt.
Skoldebrand
meinte, Bonpland
könne nun nicht mit. Ich würde leicht 30000₶
für ihn zahlen müssen. Er könne als Sklave auch früher niedergemezelt werden. Diese
Betrachtungen sezten uns 2 Tage lang in heftige Seelenmotion. Ich
wünschte eine Nacht hindurch selbst mich von ihm zu trennen. Er konnte
für Griechenland mir sehr hinderlich sein! Man fragte
jedermann um Rath, er sollte den Bedienten spielen … es endigte
sich, wie
bei allen Seelenbewegungen, damit, daß man sich von selbst
| 58r13. beruhigte. Doch
war Busnaks Nachrichten daß Algier
in Frieden sei nicht ganz zu trauen. Er wollte mich zwar mit einem
Ragusaner
Schiffe in 8 Tagen nach Tunis schikken, ich
sollte von da zu Lande über Constantine nach Alger wandern, wo alsdenn Herr
Skoldebrand angekommen sein würde. Aber alle unsere
Bekannten wiederriethen uns, Editor's note Humboldt 2000
Der Dey von
Algier
übte die Regentschaft aus für den türkischen Sultan. Die Deys hatten
jedoch zu Ende de 18. Jahrhunderts die Macht verloren. Die
Machtbefugnisse lagen faktisch in den Händen zweier jüdischer, aus
Algier stammender, in
Livorno und Marseille lebender Bankiersfamilien,
den
Bacri
und
Busnach.
Sie hatten ihre Namen italienisiert aus Bou-Kris und Bou-Chenak. In
italienischen Häfen wie Genua
und Livorno war es leicht für
sie gewesen, die geplünderten Waren abzusetzen, die die Korsaren an
sie verkauften. Von Livorno
aus hatten sie Handelsfilialen in Algier und Marseille gegründet. Sie hatten mit der Zeit
besonders den gesamten Getreidehandel zwischen Algerien, Italien und der Republik Frankreich an sich gebracht.
Zahlungsschwierigkeiten ihrer Handelspartner verschafften ihnen im
Gefolge der wirtschaftlichen auch politische Macht. Der Dey Mustafâ, der am 14. Mai
1798 anstelle seines verstorbenen Onkels
Hassan-Dey zur Regierung gekommen war, war
völlig in der Hand Naftali
Busnachs, der ihm jeden, auch den ausgefallensten
Wunsch erfüllte, dagegen faktisch sowohl die Innen- wie die
Außenpolitik Algeriens
leitete. Nichts geschah ohne ein Wissen und seine Anweisung, er
ernannte alle Staatsbeamten einschließlich der Gesandten. Jacob Cohen Bacri hatte die
Busnachs zu Handelspartnern gewählt, die die englischen
Handelsinteressen vertraten. Den Handel mit den europäischen Ländern
wickelten sie über den Hafen Marseille ab. Naftali Busnach, den man den „König von Algier“ nannte, zeigte eine große
Arroganz der Macht, so daß er 1805 dem Volkszorn zum Opfer fiel. Er
wurde am 25. Juni 1805 in Algier von einem Janitscharen erschossen. Mustafâ-Dey erlitt am 30.
Juni 1805 das gleiche Schicksal. Bacri entging dem Judenpogrom, das daraufhin
einsetzte, da er sich auswärts aufhielt. Er wurde wegen erneuter
Intrigen auf Befehl des Sultans am 4. Februar
1811 hingerichtet. Von dem Judenpogrom erholte die jüdische Gemeinde
in Algier sich bis 1830 nicht
mehr. Vgl. Garrot 1910,
597–616.
[Close]dem Juden zu trauen. Indeß gab Skoldebrand
selbst den Plan auf, seine hochschwangere
Frau
voran mit uns nach Alger zu
schikken. Sie sollte bei Madame
Meusnier hier in Marseille
Wochen liegen und er wolle die Fregatte erwarten. Nun war auf einmal alle
schöne Hofnung dahin, sich am 1 December
erlöst zu sehen.
Wir standen an,
gleich nach Spanien abzugehen. Nach reifer Ueberlegung aber
schien es besser zu warten bis Sköldebrand
eine deutliche Auskunft über das Schiksal der Fregatte erhalte. — Vom 29 November bis 7.
December (9–17 Frimaire)
Wir geriethen nun recht eigentlich in die Spielgesellschaft der
Consuls. Wir wurden alle Abend bald bei Madame
Meusnier, bald bei
Folsch, bald bei Fromenditi, bald bei Skoldebrand
eingeladen. Man spielte mit schändlicher
Habsucht Pharo, Vendôme,
…. Die alten Weiber von 70 Jahren, die Kinder von 7
Jahren, alles
spielte von 30 Sous
bis 10
₤d’or auf eine
Karte und von 6 Uhr Abends bis 4 Uhr Morgens. Jezt da die
Leidenschaften den(?)
Menschen ihre Tünche nahm, sahen wir erst in welcher pöbelhaften
Gesellschaft wir waren. Die Mägde stekten den Kindern Geld zu, um für
sie zu spielen. Die alten Weiber betrogen wie die Raben. Man beklagte die, welche verloren. (Skoldebrand
verlor in 8 Tagen über 150 ₤d’or
und weigerte sich, wenn 60
₤d’or in der
Bank waren, 40₶
zu halten. Sköldebrand
sprach von Betrug, von stehlen ….)
Das alles reizte nicht. Man spielte
immer weiter, man sprach von Menschen, die man
bitten müsse, weil sie reich wären und
das Geld nicht achteten. Der Wirth (man servirte eine Art Fußbad, Thee genannt, worunter man noch kaltes Wasser gießt, und harte Eier) hatte einen Beutel mit Geld zwischen den Beinen und bot
jedermann, der minder hoch spielte, an, ihm einige
₤d’or zu
leihen. Lieh man, so wurde man alle Minuten erinnert, wie viel man
geliehen. Der pöbelhafteste von allen war Herr Fromenditi, dessen langhalsige Frau uns bei Herrn
Fölsch das decente Spiel vom
foudre de Jupiter avec sa foudre
foudroyante hatte spielen lassen. Er behauptete, jede Münze, die an die Erde
fiel, gehöre ihm, auch erzählte er, seine
Erziehung habe seinen Vater monatlich
nur 2₶
gekostet. Die einzige, in der That sehr liebenswürdige Frau
ist Madame
Meusnier. Etwas Spielgeist
hat sie auch, aber man merkt ihr an, daß sie in eine bessere Gesellschaft gehört. Sie war lange in
Guadeloupe.
Sonderbar, daß
alle Menschen, welche in diesen Inseln und
besonders auf Isle de
France gebildet sind, sich durch Anmuth der Sitten auszeichnen. Der heiße Him̅elsstrich
lähmt etwas die Vorschnelligkeit des französischen Nationalcharakters. Er giebt den Ideen Weile
und
| 58v14.
indem der Franzose in seinem Laufe unaufhaltsam fortgeht, mit sich beschäftigt, alles um sich her auf
sich bezieht, findet der Insulaner
Ruhepunkte, auf welchen sein Gemüth empfänglich für fremde Eindrükke
wird. Dazu giebt das Palmenklima den Französischen Weibern das, was ihnen
radical fehlt, Schwermuth oder wenigstens größere Erregbarkeit für die zarteren Empfindungen
des Leidens. — Herr Fölsch zeigte sich
durch längeren Umgang auch besser als er anfangs schien. Seine Rauheit ist Folge böser Gesellschaft — und er fühlt daß man in einer anderen
Gesellschaft sich anders betragen müsse. An Verstand fehlt es ihm
nicht. Aber Herr Meusnier ist
ein Wunder sonder gleichen; eben so sanft, so fein, so schwermüthig als seine Frau, die er zärtlich liebt und die troz ihrer Corpulenz
noch recht hüpsch ist — und dieser Mann war bis zur Revolution selbst Schifs-Capitain! Er führte selbst
Schiffe nach den Amerikanischen Inseln. Ich gewann in dieser Gesellschaft an
einem Abend 14
₤d’or,
Bonpland
eben so viel. Aus Dezenz verlor ich wieder alles. Nun glaubte ich abbrechen zu
dürfen und lief fleißig aufs Land, das nach solchen Abenden neue Reize für mich gewann. Besonders angenehm war
ein Spaziergang nach Alauch in die Gipsbrüche. Die gutmüthigen Wirtsleute wollten uns (weil es Festtag war) keine
Wurst geben. Unsägliches Blut hat der Partheigeist in diesen
Haufen armseliger Häuser fließen lassen! Und nach alle dem ist man
dahin zurükgekehrt, von wo man ausgegangen. Man hält es für Totsünde
Wurst zu essen. Die Wirthin sagte die heilige Jungfrau auf dem Berge (la bonne mère
d’Allauch) wolle solchem Gräuel nicht zusehen!
Diese Jungfrau bewohnt die Ruinen eines alten Schlosses, dessen
Gemäuer, Treppen und Thore in der That Größe verkündigen. Wir sahen die Sonne von dort aus sich ins
Meer tauchen. Wir hatten so lange verweilt, daß uns die Nacht
überfiel. Der Weg war zum Halsbrechen, aber wir sprachen von
Gespenstern und so kamen wir froh und gespannt nach Hause. Unsere Spannung nahm zu, da uns
Skoldebrand
mit der Nachricht entgegen kam: er habe von einem Dänischen
Capitaine der en quarantaine läge und von Lissabon
kom̅e, erfahren, daß unser bâtiment
marchand mit den Geschenken für den Dey auf der
Höhe des Tajo von der
Fregatte getrennt worden sei und daß
es im Hafen von
Lissabon nun schon 14
Tage lang (als in einem zum rendez-vous
bestimten Plaze) auf die Ankunft der Fregatte harre. Diese Nachricht schien das Zeitungsgerücht, als sei die Fregatte,
sam̅t den Geschenken von den Engländern aufgebracht, zu entkräften. Wenigstens (man kann jede
Nachricht deuten wie man will, und sich nach Gefallen montiren), wenigstens glaubten wir nun
| 59r15. daß die
Fregatte, der Jaramas, da sie einmal bis
Lisbon vorgedrungen
sei, wahrscheinlich in 8–10 Tagen erscheinen müsse. In einem
Zustande, in dem man lange ganz ohne Nachricht ist, scheint jede (welche endlich anlangt) erwünscht zu sein.
Wir stellten sogar Rechnungen an, nach denen es uns nicht einmal sehr lange schien, daß die Fregatte in See sei. In dieser besseren
Stimung und mit frisch geheftetem Blik auf
notre Dame de la Garde
brachten wir nun mehrere Tage mit botanischen Excursionen und Fischfang
zu. Den Sardellenfang auf der Insel Pomego, den dasigen Felsenbogen und das Wunder der Corallenbeete habe ich Editor's note Humboldt 2000
Nicht
ermittelt.
[Close]an
einem
andern Orte beschrieben. In dieser Zwischenzeit sah ich viel, öfter als ich
es wünschte, Herrn Thulis
und einen jungen Kaufmann (Sohn eines
Courtier) der sich
selbst zum Mathematiker und Astronomen
gebildet, Herrn Blancpain. Der leztere
ist durch seine Kenntnisse eben so merkwürdig, als durch sein
garstiges, ängstliches und widerwärtiges Aeußere. Sein Hang zum Ausländischen, seine
Verachtung der französischen Litteratur und sein
Muth,
Namen fremder Gelehrten zu kennen, war mir auffallend. Der Tod seines
reichen Vaters und Revolutionszufälle
zwangen ihn sich gegen seine Neigung mit Kaufmännischen Geschäften abzugeben. Doch ist er (der réquisition
wegen) bei der Marine examinirt und wird wahrscheinlich einmal (nach St.
Jacque’s Tode) Thulis
Adjunkt. Herr Thulis
verliert sehr bei näherer Bekanntschaft. Seine theoretischen Kentnisse scheinen sehr
gering, für
praktische Beobachtung ist er nicht ohne Talent, sein kleinlicher,
elender, neidischer Charakter und seine Unzufriedenheit mit der
Verfassung machen ihn aber jeder großen Anstrengung unfähig. Seine
Frau, ein breitlippiges bleiches Weib, das
Jupitersverfinsterungen
beobachtet und von der man rühmt, daß sie Editor's note Humboldt 2000 und Christian Thomas
Die hier mit
E. bezeichnete Person konnte bisher nicht
identifiziert werden.
[Close]E. durchgeholfen und sich in alle Gerichtshändel mischt, herrscht mit eisernem Scepter über ihn. Er ist so
hasenartig furchtsam daß er aus Furcht vor neuen Haussuchungen 6–8
Nächte in der Stadt schlief, weil man ihn (so unwahrscheinlich dies
auch ist, da der Commandant, der Adjudant-général
Nogues ein sanfter Mann und sein Freund ist) „aus Versehen einstekken und im Gefängniß auch aus Versehen ermorden könne“. So oft ich mit ihm das Observatorium verlies (ein Ort, dessen Einrichtung Herrn Thulis
übrigens viel Ehre macht), gab er dem Wärter Jeanlouis
Verhaltungsbefehle, als wenn ein General eine belagerte Vestung
| 59v16. verläßt. Da er
immer von dem spricht, was er unter anderen Verhältnissen thun würde, so läßt sich
vorsehen,
daß er nie mehr leisten wird, als was er bisher gethan, die Instrumente aufzustellen, zu puzen, den Mittag und
Bedekkungen zu beobachten. Mit Blancpain
wird er nicht lange Freund bleiben, denn kaum kann er seinen Neid über
ihn zurükhalten. Mich incom̅odirt er durch ewige Besuche, Morgens
am Bette und Besuche, die mit Seufzen über den politischen Zustand der Dinge zugebracht
würden. Tausendmal mußte
ich hören, man hasse ihn weil er feineres Tuch als andere trage und
geehrt sei. Bei aller Elendigkeit, Neugierde und Prellsucht (er wollte
mir allen Praß
von Instrumenten anschmieren) kann man ihm indeß doch guten Ton
und eine gewisse Gewandtheit im Umgang mit Fremden nicht
absprechen. Diese Leichtigkeit macht ihn auch
nicht uninteressant in der Unterhaltung über die Personen, mit denen er gelebt, wie mit dem Editor's note Humboldt 2000
Herzog Ernst II. von
Sachsen-Gotha-Altenburg und seine Gemahlin Maria Amalie Charlotte.
Nach Ausweis seines Biographen (Beck 1854) war der Herzog
nur einmal in seinem Leben in Frankreich. Vom 28.7. bis 1.9.1786 reiste er in
England, danach in
Südfrankreich, Italien und in der Schweiz. In der Zeit vom 30.9.1786
bis 23.9.1787 hielt er sich in Südfrankreich, vor allem in Hyères bei Toulon auf, wo seine leidende Gemahlin ihre
Gesundheit wiederherstellen sollte. Seine Reisen galten in erster
Linie astronomisch-geographischen Ortsbestimmungen, wie er auch
selbst Verfasser astronomischer Schriften war. Er wurde von dem mit
ihm befreundeten Astronomen Franz Xaver von Zach begleitet, für den er die
Sternwarte bei Gotha errichten
ließ (Beck 1854, 17,
51f., 80). Ein Herzog von Gotha wird als Auswärtiges
Mitglied der Académie des Belles Lettres, Sciences et
Arts in Marseille genannt (Baratier 1973,
242).
[Close]Herzog
von Gotha der ihm einen Ring und eine
k(?)nöcherne Dose
schenkte, auch oft für Thulis
Geld zu Abend aß, über Zach, der das Haar der Herzogin in der Schreibtafel trug
und zeigte, über Lalande …. Thulis
führte mir auch einen Professor der
Marine,
Duhamel, zu der ein angenehmes Aeußeres hatte und Herrn Omitted (1 word) der sich
mit Drechseln und Physik beschäftigt und mein Senkbarometer copiren will. Thulis
rühmt sich übrigens merkwürdiger Dinge als „Drechseln zu können, sehr weit zu sehen,
lange zu sprechen, geschikt in Physikalischen Versuchen zu sein, nie etwas zu zerbrechen, große Wärme in
der Hosentasche zu haben, viel Knoblauch essen zu können, ohne zu
stinken …“.
— Thulis
gab uns eine sehr falsche Anweisung ein brennendes
Steinkohlenflöz bei Valdome
und
Notre Dame des Anges zu
sehen. Er sagte es sei beides ganz nah bei Allauch. Wir glaubten einen eben so angenehmen Spaziergang als nach den
Gipsbrüchen zu machen, geriethen aber in klippigte Fußsteige ohne Spur
von Damerde und Vegetation. Nach langem Herumirren wieß uns ein
Ziegenhirte das einzeln liegende Haus eines Landmanns der durch
kleine Mauern eine Insel von Fruchterde zusammenhielt. Der
guthmüthige Mann versicherte uns Valdome sei noch 3
lieues von der Dame des anges entfernt und selbst der lezte Berg so weit, daß wir unmöglich hingehen und
nach Marseille vor Nachts
zurückkehren konnten. Diese Nachricht war (da wir außer Lichenen wenige Pflanzen gefunden) eben nicht
tröstlich. Die Gutmüthigkeit des Landmanns, der uns zwang von seinen
Feigen zu essen und seinen herben Wein aus einem Horne zu trinken,
milderte dies alles. Ja die Szene würde noch weit angenehmer für die Rükerinnerung geworden sein,
wenn nicht der Vater und der Knabe, so oft sie den Mund öfneten, das Zimmer mit
wüthigem Knoblauchgestank er
| 60r17. füllt hätten. Die
Rükkehr war wie jede Rükkehr nach Marseille (da man 2 Stunden lang zwischen Gartenmauern gehen muß) sehr langweilig. Ein
großes Geschrei spannte unsere Aufmerksamkeit. Eine vornehme Frau vom
Lande war mit ihrem Esel gestürzt. Knechte und Mägde, die sie begleiteten, schlugen unbarmherzig auf den
Esel, der unempfindlich gegen den Schmerz von einer Distel fraß, die im
Kothe lag.
Erst als die Distel verzehrt war, gefiel es dem Esel aufzustehen und nun ging es in vollem
Gallop
weiter. Als wir in unser Wirtshaus kamen empfing uns Skoldebrand
mit bösen
Nachrichten:
Es war ein Brief von dem Capitaine des bâtiment
marchand an Skoldebrand
angekom̅en. Dieser Brief meldete, daß der Sturm
die Fregatte schon seit 1½ Monathen nördlich von Holland
von ihm getrennt habe, daß er nichts von ihrem Schiksal
wisse und daß er indem er schon 20 Tage warte, nach noch 14 Tagen
allein seinen Weg nach Alger antreten wolle. Zugleich hatte Busnak Briefe von Alger welche meldeten daß die
Pest welche in Oran und
Tremeshend
gar nicht aufgehört, jezt schon in
Alger selbst wüthe.
Also vielleicht vor dem Frühjahr keine Fregatte, jezt schon Pest und überall Nachrichten von
heftigsten Verfolgungen im Orient, von einem
Mistrauen gegen alle Fremden …. Diese Betrachtungen
erregten die heftigsten Seelenbewegungen am 14ten und 15.
Frimaire
. Der Weg nach der Levante, besonders der nach Egypten war versperrt, die schönsten und lezten Blüthenmonathe Januar
Februar und Merz vielleicht noch harrend in Marseille zugebracht, dann 5 Monathe lang der Pest wegen eingesperrt,
unsicher selbst über die politische Wendung der Algierer Angelegenheiten — das alles brachte
Entschlüsse zur Reife. Aber Corsica, Spanien
oder
Tunis (dahin war allenfalls
Gelegenheit) das war die Frage ….
Corsica schien, so reich
gewiß auch die Pflanzenbeute dort und in Sardinien gewesen wäre, zu klein, zu isolirt, zu unmittelbar nach
Frankreich
zurükführend. Spanien
leuchtete am Abend (14 Frimaire
) Bonpland
und mir am meisten ein. Man kön̅e ein herrliches Frühjahr in
Valencia, Cadix zubringen, dort oder
in Lisbon Gelegenheit
nach Teneriffa, nach
Cap de bonne
esperance
,
nach Brasilien … finden, man sei im August selbst Afrika näher, man habe
dann 6 Pestfreie Monathe vor sich. Die Nacht brachte ich fast schlaflos
zu. Es war doch so schmerzhaft die schöne Hofnung,
Europa zu verlassen wieder vereitelt zu sehen, ich glaubte
nicht eher Ruhe des Gemüths zu genießen, als bis diese Hofnung erfüllt
war; Gelegenheit nach Tunis sei wahrscheinlich noch da,
der Krieg sei nicht erklärt, ich könne Skoldebrand
vorangehen, ihm über Constantine nachkom̅en, dort noch keine
| 60v18. Pest. Ich sah ein,
daß es eben nicht das klügere sei, aber genug, ich wollte nach
Tunis. Ich erklärte am
frühen morgen an Bonpland
meine Gründe. Sei es, daß ich zum ersten Male etwas Furchtähnliches in ihm bemerkte,
sei es daß sein kindischer Hang nach Montpellier (wo sein ältester Bruder
studirt) entgegenstrebte, er schien von meinen Gründen nicht überzeugt, wenigstens
schien der Plan ihn sehr kalt zu lassen. Ich lief zu Busnak um zu fragen ob sein Schif
noch da sei, er war nicht auf und schlief mit seiner Maîtresse, man sagte mir im Comptoir, das Schiff, ein Ragusaner, sei noch da, ein
Freund von Busnak befrachte es für Rechnung des Dey. Es schien also der Form
nach sehr neutral. Ich lief sogleich zu dem Freunde,
fand einen sehr freundlichen Mann, der mir sagte der Capitaine
Bianchi, der Führer des Schiffes, sei eben in seinem Contoire, einer seiner Verwandten, des
Arabischen kundig, gehe mit nach Tunis, er habe viel merkwürdiges von mir gehört und werde alles thun um mir gefällig zu sein. Der Capitaine
Bianchi, der von Passagiren
hörte und in dem die Hofnung zum Gewinn erwachte, trat sogleich herzu —
ein 40jähriger kalter, aber gutmüthig scheinender Mann. Er erklärte daß
er in 2 mal 24 Stunden absegle und daß mit 50–70
Piastern
der Contract bald geschlossen sein würde. Der Termin, welchen er sezte, schien für uns, die
wir noch das Pakken, Pflanzen-Auslesen und alle Formalitäten der Pässe vor uns hatten, sehr kurz. Doch hielt ich es
nicht für unmöglich in 2 Tagen alles (selbst das lange Editor's note Humboldt 2000
Humboldt
1799a.
[Close]Memoire über die
Luftzerlegung des Winters 98) zu vollenden. Ich versprach dem Capitaine
Bianchi in 3 Stunden in der Börse (loge) bestim̅ten
bescheid zu sagen. Die Solen brannten mir,
Frankreich zu
verlassen. Vor Freude trunken, ohne die Gefahr zu bedenken in die ich
in einem so entfernten, dem
Kriegsschauplaz nahen Lande
gerathen konnte, kündigte ich Bonpland
unser Glük
an. Er schien für dieses Glük wenig empfänglich, doch erheiterte auch ihn der Gedanke, so schnell abzusegeln, die Möglichkeit die
einförmige Lage des Marseiller Lebens zu
verlassen. Wir liefen in den Hafen um die Speranza (das 2mastige Schiff
des Ragusaners) zu besehen.
Ich fand wie gewöhnlich alles wunderschön. Ein alter Matrose, der sehr
reines italienisch sprach, bewillkommnete uns sehr höflich. Bonpland
fand alles sehr schweinisch, in der That war
auch eine schwarze Sau in dem Zimmer welches man uns einräumen wollte.
Von dem Hafen gin(?)gen wir zu Guys, dem
Com̅issaire des relations
extérieures, um
zu fragen ob es möglich sei unsere Pässe in 48 Stunden zu visiren. Zum Glük und Unglük war Guys
selbst in Aix. Der
junge Vence, der Neffe des
Comandanten in
Toulon,
| 61r19. ein feiner junger
Mann, wieß uns zu dem Adjoint des
Com̅issaire
Guys. Ich stellte dem Manne
unseren Casus und die Eile vor, mit der wir expedirt sein wollten. Aber
wie groß war unsere (wenigstens meine) Verwunderung, als der Adjoint
mit vieler Beredtsamkeit versicherte, daß wir einen sehr tollen
Entschluß gefaßt hätten, daß er Bianchi’s Schiff genau kenne, daß es nicht allein
keineswege(?)s neutral sei, sondern daß in Tunis selbst die Erbitterung so groß gegen
alle Franken sei, daß er dahin unsere Pässe keinesweges zu visiren
wage. Er war selbst Consul in Tunis gewesen und jezt für Syrien
bestimmt. Wenn man schwankt, wo ohnedies die Lust allein die Vernunft
zum Schweigen gebracht hat,
bedarf es eines kleinen Umstandes nur, um die Vernunft in ihre Rechte
eintreten zu lassen. Die Beredtsamkeit des Mannes siegte,
wir standen innerhalb 10 Minuten
von dem Plane, nach
Tunis zu
reisen, ab und um nicht aufs neue zu wanken, ließ ich sogleich die Pässe für
Spanien visiren.
Weise, vorsichtig mochte der neue Entschluß wohl sein — aber kränkend
war er nicht minder. Wäre ich allein gewesen, hätte Bonpland
Lust statt Abneigung gezeigt, ich hätte meinen
Plan durchgesezt. Gewagt war er freilich, aber bleibt man nicht ewig
unthätig, wenn man nie etwas wagt? Also nun nach Spanien, vielleicht noch 6–8 Monathe auf europäischem Boden. … Ich lief gegen 3 Uhr auf die Börse, um dem Capitaine
Bianchi zu sagen, daß
ich in 48 Stunden meine Geschäfte nicht vollenden könne. Zu meiner größten
Kränkung blieb die Speranza noch 5–6 Tage im Hafen. Ich konnte nie nach der Sternwarte gehen, ohne daß nicht meine Augen
unwillkührlich auf sie gerichtet waren, ja dem Absegeln nahe, legte sie sich allein mitten in den Hafen. Ich hätte sie so gern
durch andere Masten verdekt gesehen. Bei kalter Ueberlegung glaubte ich
so und nicht anders handeln zu müssen. Aber dem Palmenlande so nahe und zurük in das Innere des Landes eingeängt …. Mein künftiges Schiksal wird
entscheiden, ob ich das bessere gewählt, wenigstens wird meine eigene und fremde Schwäche dies künftige Schiksal zu deuten wissen. Wir
bemerkten daß 12 Stunden nachdem Capitaine
Bianchi auslief sich ein
fürchterlicher Sturm erhob, der fast 8 Tage lang wüthete. Zwischen Cette
und
Agde sammelte man die
Trümmern vieler gescheiterter Schiffe. 15.–24.
Frimaire (5.–14.
Dezember). Ein
neuer Umstand und sonderbarer Art, machte mir die folgenden Tage noch trüber.
Dem Schmerze empfänglicher, schien mir alles gegen mich und meine Plane verschworen. Am 15ten auf der Börse sagte ich
dem Kaufmann Ellenberg, auf
den mir Editor's note Humboldt 2000
Bankier Fould, mit dem auch Wilhelm von Humboldt in
Paris bekannt war; vgl.
Humboldt, W. v.
1916, 431, 566.
[Close]Fuld in Paris
einen Credit von 40000₶
gegeben, (ein geschwäziger aber gutmüthiger hagerer junger Mann)
daß ich ihn um Wechsel nach
| 61v20.
Spanien bitte, da ich Editor's note Humboldt 2000
Im Januar 1799 bat
Humboldt aus Barcelona einen
Berliner Freund, wohl
Gottlob Johann Christian
Kunth, um einen Kreditbrief auf ein solides
Haus in Madrid: aber um
einen unmittelbaren, weil er von der Dazwischenkunft eines
Dritten, besonders eines Pariser Bankiers, deren Kredit gerade damals
durch den bekannten Vorfall mit der caisse des comptes courantes erschüttert war,
Aufenthalt furchtete (Neue Berlinische Monatsschrift. 6
(1801, Sept.), 193f.; [hier zit. nach Humboldt 2000, 448;
CT]); vgl. auch Humboldt 1973,
648.
[Close]dorthin meinen Credit,
wenigstens einen Theil desselben, zu übertragen wünschte. Ellenberg sagte etwas geheimnißvoll
er wolle morgen zu mir kom̅en, um über diese Wechsel zu reden.
Ich achtete nicht auf diese Antwort. Wie groß aber war mein
Erstaunen als Ellenberg
schon am Nachmittage zu mir kam, und mir sagte, er habe seit 10 Tagen bereits eine Order
von Fuld, mir keinen Pfennig zu zahlen, aus délicatesse habe er mir diese
unangenehme Botschaft
nicht früher geben wollen.
| 71r
Versuche und Beobachtungen vom 14ten Brumaire 7. (4ten November 1798) an bis zum
1. Marseille hôtel des Ambassadeurs mit Borda’schem Kreise am 14 Brumaire Meridian Höhe 31. 27. 00″(?) giebt 43° 17′ 45″ Tuilis fand 43° 17′ 49″
2. am 15 Brumaire wahre Zeit 12heures 1′ — 62.(?) 16⁄31 8 giebt 43° 17′ 6″
Note by the author (inserted at the right margin) alle nicht sehr sicher in Bestimmung der Colimation und des Horizonts nemlich numero 1–3.3. am 16 Brumaire wahre Zeit 69. 36. — 61 33. 23 giebt 43. 17. 9.
4. am 18ten Brumaire Luft in der Straße 110. an dem Fort jenseit des Hafens St. Nicolas am Ufer 107, aber trübe, etwas Regen. Landwind. H. 97, S.th +15,5.
19 Brumaire schwacher Seewind, ganz blau, am Hafen Luft 102,5. H. 86. Th. 15, 2. stärkerer Seewind, ganz bezogen. Luft 104. H 94. Th. 13. am 27. Brumaire Seeluft St. Nicolas. 104½ 28, stärkere Seeluft 102½.
5. am 19 Brumaire erste genaur(?)e Beobachtung:
[Start columns]
Sextant: | |
---|---|
XI. 59.′ 50″ | 59° 55′ 20″ |
63′ 50″ | 〃 56′ 20″(?) b |
71.′ 2.″ | 〃 53.′ 20″(?) |
59 | 55 |
29 | 28 |
30 | |
29 | 58 |
b giebt 43° 17′ 36″
[New column]
Borda’scher Cirkel. | |
---|---|
55′ 35″ | 59° 54′ 50″ |
58′ 15″ | 〃 56′ 10″ |
61′ 40.″ | 〃 57.′ 00″ a |
66′ 20″ | 〃 56′ 25″ |
69′ 25″ | 〃 54.′ 50.″ |
a giebt 43.° 17′ 58.″
[End columns]6. am 24 Brumaire mit Borda’schem Cirkel wahre Zeit XIIheures 27′ 45″ Note by the author (inserted at the right margin) genau!
55° 49′ 40″ giebt 43° 17′ 35″
am 25 Brumaire mit Theodolith in der Culmination 28° 21′ 20″ giebt 43° 17′ 27″
7. am 27 Brumaire
[Start columns]43. 20 | 27. 41.50 |
44 50. | 〃 46. |
46. 42. | 〃 47. 45. |
48 20. | 〃 49 |
50 〃 | 〃 50 |
53. 30 | 〃 50. 30. |
57. 15. | 〃 50 45 |
58 18 | 〃 51. 5 |
62. 40 | 〃 51. 25 |
66. 30. | 〃 50 30. |
Wolken.
[New column]27. 51. 25. (−30″ und(?) wegen Faden…) giebt 43° 17′ 12″
1. giebt | 43° 13′ 1″ |
2. 〃 | 〃 10 36 |
3 〃 | 〃 11. 2 |
4 〃 | 〃 13. 30. |
5 〃 | 〃 13. 41. |
6 〃 | 〃 16 49 |
7 〃 | 〃 18 6 |
8 〃 | 〃 18. 3. |
9 〃 | 〃 17 31 |
10 〃 | 〃 17. 56. |
| 71v
Editor's note David Blankenstein
Einhorngarnele, Plesionika narval
(Fabricius, 1787), vgl. Global Biodiversity Information Facility
(GBIF)
[Close]Cancer narval in Marseille 21 Zoll
lang, wovon 14 Zoll bloß auf die Antennen.
am 30 Brumaire
mit Theodolith
Editor's note David Blankenstein und Christian Thomas
Der Walfisch (lat. Cetus) ist ein Sternbild in der Umgebung des Himmelsäquators; β bezeichnet den hellsten Stern in diesem Sternbild, Beta Ceti.
[Close]β im Wallfisch.
Meridian Höhe 27.° 37′ 25″ giebt 43° 17′ 23″
1 Frimaire mit Theodolith ☉ Aurora(?) rother Hallon um Mond.
XIheures 62 2 | 26° 52′ 52″ | giebt 43 17. 55 |
64 10 | 〃 53 50 | |
65 43 | 〃 54 15. | |
67 35 | 〃 55 40. | |
69 17. | 〃 55 45. | |
71 50 | 〃 56 00 | giebt 18′ 17″ |
73 45 | 〃 55 25 | 〃 18′ 8″ |
77 10 | 〃 54. 25 | 〃 18′ 15. |
78 36 | 〃 53. 45 | |
80 | 〃 53 〃 | 〃 17′ 52. |
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Image description Sonnenflecken [Close] sonst keine!
toises | baromètre | ||
---|---|---|---|
Höhen bei Marseille: | Notre Dame de la Garde géométriquement | 85 | 88⅓. |
Marseille Veire | 217. | 231. | |
Saint Cery (Continuation de Marseille Veire
vers l’Est) |
31(?)8. | 338. | |
Thuilis
und
Piston. |
Gardelaban près d’Aubagne | 350 | 365. |
Saint Pilon au-dessus de la Grotte de Saint Baume | 501. | 501. | |
Saint Victoire près d’Aix | 498. | 504. | |
Pic de Beguines | 572. | 561. |
Dieser und Bau de Bretagne wohl höchster Berg in Provence, vielleicht Montagne de Lure noch höher und vielleicht noch höher Mont Ventoux zwischen Aix und Avignon, aber lezterer (er hat allerdings 1030 toises und ist Kalk) gehört schon zum Contat.
Pflanzen hauchen Tag und Nacht Kohlensäure aus, zersezen dieselbe aber gleich wieder, selbst bei Tage. Sie sterben, wenn man ihnen bei Tage die Kohlensäure durch Kalkwasser entzieht. Sie leben noch in 0,75 atmosphärischer Luft und 0,25 Kohlensäure ziemlich, lebhafter und üppiger, als in reiner atmosphärischer Luft bei 0,12 Kohlensäure. Sie hauchen dann mehr Lebensluft aus. Im Schatten schadet Kohlensäure den Pflanzen. Sie verbessern die atmosphärische Luft nur dann, wenn ihr Kohlensäure beigemischt ist, nicht aber wenn die atmosphärische Luft rein ist. Resultate aus Saussure fils, La formacion de l’acide carbonique est-elle essentielle à la Végétation? Journal de Physique, an 6, Tome III, page 191.
Le 8 Mai ou 19 Floréal 7. le Chronomètre de Berthoud retardait à midi sur le tems moyen de Madrid de 1′ 58″,4 d’après les Observations de Monsieur Chaix qui ne laisserent pas 0″,3 de doutes. Il retarde par jour en 24 heures 4″,4.
The creation of the edition humboldt digital datasets is an ongoing process. The scope and accuracy of the data grows as the project progresses. We are always grateful for any additions, corrections and error reports. Please write to edition-humboldt@bbaw.de.
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