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| 58r13. beruhigte. Doch war Busnaks Nachrichten daß Algier
in Frieden sei nicht ganz zu trauen. Er wollte mich
zwar mit einem Ragusaner Schiffe in 8 Tagen nach Tu-
nis
schikken, ich sollte von da zu Lande über Constan-
tine
nach Alger wandern, wo alsdenn Herr Skoldebrand ange-
kommen sein würde. Aber alle unsere Bekannten wiederriethen
uns,   Kommentar Humboldt 2000
Der Dey von Algier übte die Regentschaft aus für den türkischen Sultan. Die Deys hatten jedoch zu Ende de 18. Jahrhunderts die Macht verloren. Die Machtbefugnisse lagen faktisch in den Händen zweier jüdischer, aus Algier stammender, in Livorno und Marseille lebender Bankiersfamilien, den Bacri und Busnach. Sie hatten ihre Namen italienisiert aus Bou-Kris und Bou-Chenak. In italienischen Häfen wie Genua und Livorno war es leicht für sie gewesen, die geplünderten Waren abzusetzen, die die Korsaren an sie verkauften. Von Livorno aus hatten sie Handelsfilialen in Algier und Marseille gegründet. Sie hatten mit der Zeit besonders den gesamten Getreidehandel zwischen Algerien, Italien und der Republik Frankreich an sich gebracht. Zahlungsschwierigkeiten ihrer Handelspartner verschafften ihnen im Gefolge der wirtschaftlichen auch politische Macht. Der Dey Mustafâ, der am 14. Mai 1798 anstelle seines verstorbenen Onkels Hassan-Dey zur Regierung gekommen war, war völlig in der Hand Naftali Busnachs, der ihm jeden, auch den ausgefallensten Wunsch erfüllte, dagegen faktisch sowohl die Innen- wie die Außenpolitik Algeriens leitete. Nichts geschah ohne ein Wissen und seine Anweisung, er ernannte alle Staatsbeamten einschließlich der Gesandten. Jacob Cohen Bacri hatte die Busnachs zu Handelspartnern gewählt, die die englischen Handelsinteressen vertraten. Den Handel mit den europäischen Ländern wickelten sie über den Hafen Marseille ab. Naftali Busnach, den man den „König von Algier“ nannte, zeigte eine große Arroganz der Macht, so daß er 1805 dem Volkszorn zum Opfer fiel. Er wurde am 25. Juni 1805 in Algier von einem Janitscharen erschossen. Mustafâ-Dey erlitt am 30. Juni 1805 das gleiche Schicksal. Bacri entging dem Judenpogrom, das daraufhin einsetzte, da er sich auswärts aufhielt. Er wurde wegen erneuter Intrigen auf Befehl des Sultans am 4. Februar 1811 hingerichtet. Von dem Judenpogrom erholte die jüdische Gemeinde in Algier sich bis 1830 nicht mehr. Vgl. Garrot 1910, 597–616.

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dem Juden zu trauen
. Indeß gab Sk. selbst den Plan
auf[,] seine hochschwangere Frau voran mit uns nach Alger zu
schikken. Sie sollte bei Mad. Meusnier hier in Marseille
Wochen liegen u er wolle die Fregatte erwarten. Nun war
auf einmal alle schöne Hofnung dahin, sich am 1 Dec. er-
löst zu sehen. Wir standen an[,] gleich nach Spanien ab-
zugehen. Nach reifer Ueberlegung aber schien es besser zu
warten bis Sköld. eine deutliche Auskunft über das Schik-
sal der Fregatte erhalte. — Vom 29 Nov bis 7[.] Dec. (9–17 Fr.)
Wir geriethen nun recht eigentlich in die Spielgesellschaft der
Consuls. Wir wurden alle Abend bald bei Mad Meusnier, bald
bei Folsch, bald bei Fromenditi, bald bei Skold. eingeladen. Man
spielte mit schändlicher Habsucht Pharo, Vendôme[,][.] Die alten Wei-
ber von 70 Jahren, die Kinder von 7 Jahr[en], alles spielte von 30 S.
bis 10 ₤d’or auf eine Karte u von 6 Uhr Abends bis 4 U. Mor-
gens. Jezt da die Leidenschaften den(?) Menschen ihre Tünche nahm,
sahen wir erst in welcher pöbelhaften Gesellschaft wir waren.
Die Mägde stekten den Kindern Geld zu, um für sie zu
spielen. Die alten Weiber betrogen wie die Raben. Man be-
klagte, [sic] die [sic] welche verloren. (Sk. verlor in 8 Tagen über 150 ₤d’or
und weigerte sich[,] wenn 60 ₤d’or in der Bank waren[,] 40 zu
halten. Sk. sprach von Betrug, von stehlen …[.][)] Das alles reiz-
te nicht. Man spielte immer weiter, man sprach von Men-
schen[,] die man bitten müsse, weil sie reich wären u
das Geld nicht achteten. Der Wirth (man servirte eine Art Fuß
bad, Thee genannt, worunter man noch kaltes Wasser gießt,
u harte Eier) der Wirth [sic] hatte einen Beutel mit Geld zwischen
den Beinen und bot jedermann, der minder hoch spielte[,] an,
ihm einige ₤d’or zu leihen. Lieh man, so wurde man
alle Minuten erinnert, wie viel man geliehen. Der pöbelhafteste von
allen war Herr Fromenditi, dessen langhalsige Frau uns bei Herrn Fölsch das
decente Spiel vom foudre de Jupiter avec sa foudre foudroyante hatte
spielen lassen. Er behauptete[,] jede Münze[,] die an die Erde fiel[,] ge-
höre ihm, auch erzählte [sic][,] seine Erziehung habe seinen Vater mo-
natlich nur 2 gekostet. Die einzige, in der That sehr liebens
würdige Frau ist Mad. Meusnier. Etwas Spielgeist hat sie auch,
aber man merkt ihr an[,] daß sie in eine bessere Gesell-
schaft gehört. Sie war lange in Guadeloupe. Sonderbar[,] daß
alle Menschen, welche in diesen Inseln u bes. auf Isle
de France
gebildet sind, sich durch Anmuth der Sitten aus-
zeichnen. Der heiße Him̅elsstrich lähmt etwas die Vorschnelligkeit
des franz. Nationalcharakters. Er giebt den Ideen Weile u

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Zitierhinweis

Humboldt, Alexander von: De Paris à Toulon[,] 1798. [= Tagebuch der Frankreich-Reise], hg. v. David Blankenstein und Christian Thomas unter Mitarbeit von Annika Geiser, Ulrich Päßler und Florian Schnee. In: edition humboldt digital, hg. v. Ottmar Ette. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. Version 9 vom 04.07.2023. URL: https://edition-humboldt.de/v9/H0018407. Folio: https://edition-humboldt.de/v9/H0018407/58r


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