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[...]

(Zweiter Brief.)

Arékuna-Dorf Uruparu, 4° 35′ 30″ N. Br. 61° 28′ W. Länge v. Greenw., den 17. Nov. 1838.

Ich hatte die Ehre, Ihnen von Pirarara und Fort Sâo Joaquim zu schreiben  Den Brief aus Sâo Joaquim hat Hr. von Humboldt nicht empfangen.        B.**), und nehme mir die Freiheit, Ihnen von Neuem den Erfolg meiner Reise mitzutheilen.

Wir verließen Pirarara am 8. Oktober; eine ungewöhnlich lange Regenzeit hatte unsere Abreise von Fort Sâo Joaquim mehrere Wochen verzögert. Wir folgten am ersten Tage dem [...] | 118Fluß Mahu, welcher Ireng von den Indianern genannt wird, aufwärts, und setzten am zweiten Tage auf sein rechtes Ufer über, von wo wir nun dem Vorsprung des Pacarayma-Gebirges in N.W. Richtung folgten. Unser Pfad führte durch die südlichen Längenthäler der Gebirgskette, welche spärlich von Macusi-Indianern bewohnt sind. Der Fluß Coting, der Cristaes der Portugiesen, kreuzte unsern Pfad am 15. Oktober, und ich errichtete mein Zelt an seinem rechten Ufer, um astronomische Beobachtungen zu nehmen, denen gemäß wir in 4° 10′ 48″ nördl. Breite und 68,2 geogr. Meilen (60 auf 1 Grad) westlich von Pirarara waren. Ich schätzte die Breite des Flusses  Foot: Fuß (Großbritannien), 280 Foot entsprechen 85,34 m280 Fuß, und seine Tiefe betrug  Foot: Fuß (Großbritannien), 5 Foot entsprechen 1,52 m5 bis  Foot: Fuß (Großbritannien), 10 Foot entsprechen 3,05 m10 Fuß. Die Indianer nennen ihn Coting oder Cotinga, von seiner Quelle bis zu seinem Zusammenfluß mit dem Tá kutu, und betrachten den Zurung (Xuruma) als einen Affluenten des Coting. Die Vereinigung beider Flüsse war ungefähr 15 geogr. Meilen von unserm Lager in S.S.O. Richtung, also in ungefähr 4° 25′ nördl. Breite und 45 Meilen nördlicher, als in Arrowsmith’s Karte von Colombiaangedeutet ist, der gemäß wir in 4° 10′ nördl. Breite bereits an den Quellen des Cristaes gestanden haben sollten.

Nachdem wir den Berg Meirari passirt hatten, welcher sich zu einer Höhe von  Foot: Fuß (Großbritannien), 2.817 Foot entsprechen 858,62 m2817 Fuß über die Savanne und ungefähr  Foot: Fuß (Großbritannien), 3.400 Foot entsprechen 1,04 km3400 Fuß über die See erhebt, wendeten wir uns nach Norden, und überstiegen die Berge, welche mit geringer Abweichung von W. nach O. zogen. Wir sahen am 19. Oktober einen Gebirgsrücken vor uns, der in seiner Formation sehr von denen abwich, welche wir bisher gesehen hatten. Es waren Sandstein-Gebirge, von derselben Richtung als die Granitgebirge; unsere Breite war diesen Abend 4° 28′ 52″. Wir hatten am nächsten Tage diesen Gebirgsrücken zu übersteigen; er bestand aus rothem und weißem Sandsteine, in welchem viele runde und eckige Fragmente von Quarz gebettet waren. Ich schätzte unsere Höhe über dem | 119Meere  Foot: Fuß (Großbritannien), 3.000 Foot entsprechen 914,40 m3000 Fuß. Die Vegetation nahm einen ganz andern Karakter an, und ich hatte viel Schönes und Neues zu bewundern, doch den Preis trug eine Orchidea davon, die sich zu einer Höhe von  Foot: Fuß (Großbritannien), 10 Foot entsprechen 3,05 m10 bis  Foot: Fuß (Großbritannien), 12 Foot entsprechen 3,66 m12 Fuß erhebend, schöne weiße Blumen, gleich denen einer Lilie, trug. Doch da ich von dieser Pflanze weiter zu reden habe, verschiebe ich die nähere Beschreibung, die Ihnen in einer andern Form vorgelegt werden wird. Am Abend des 20. Oktobers sahen wir Roreima vor uns, jene steilen Felsenwände, die das Wunder des Landes sind. Doch erreichten wir Roreima erst am 2. November, weil sich mehrere Hindernisse in den Weg legten, die mich zurückhielten. Ich war jedoch auf seine beträchtliche Höhe bereits aufmerksam gemacht worden, da er sich in einer Entfernung von 38,5 G. Meilen (60 = 1°) unter einem Winkel von 1° 19′ 30″ zeigte, während seine steilen Felsenwände selbst in dieser Entfernung mit dem Auge einen Winkel von 28′ bildeten. Wir erreichten diese senkrechten Wände am 2. November; – ihre Ersteigung ohne Fittige war unmöglich.

Diese merkwürdige Gebirgs-Gruppe, der Culminations-Punkt der Sierra-Pacarayma (Pacareima?) und wovon Roreima der höchste ist, zieht sich von S.O. nach N.W., und ist ohngefähr 45 geogr. Meilen lang. Die Berge Roreima, Icuckenam, Ajangcatsibang und Marima bilden ein längliches Viereck, wovon Roreima die nordöstlichste Seite ist. Einer Grundlinie gemäß, welche ich in der Nähe des Dorfes Awarayambotté maß, und die Winkel mit dem Sextanten bestimmte, erhebt sich das östlichste Ende desselben  Foot: Fuß (Großbritannien), 5.100 Foot entsprechen 1,55 km5100 Fuß (englisch) über jenes Dorf, während seine Wand eine senkrechte Höhe von  Foot: Fuß (Großbritannien), 1.400 Foot entsprechen 426,72 m14- bis  Foot: Fuß (Großbritannien), 1.600 Foot entsprechen 487,68 m1600 Fuß hat. Die benachbarten Berge sind von derselben Bildung, und die Felsenwand Icuckenam ist höher, allein nicht in Hinsicht der absoluten Höhe; es ist nur die senkrechte Wand, welche bedeutender als jene von Roreima ist.

| 120 Humboldt remarks that a precipice of  Foot: Fuß (Großbritannien), 6.000 Foot entsprechen 1,83 km6000 or  Foot: Fuß (Großbritannien), 7.000 Foot entsprechen 2,13 km7000 feet is a phenomenon much rarer than is usually believed, and that a rock of  Foot: Fuß (Großbritannien), 1.600 Foot entsprechen 487,68 m1600 feet of perpendicular height has in vain been sought for among the Swiss Alps. Humboldt/MacGillivray 1832.

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Sie bemerken, daß man in den Schweizer-Alpen vergebens nach einer Felsenwand von  Foot: Fuß (Großbritannien), 1.600 Foot entsprechen 487,68 m1600 Fuß senkrechter Höhe suchen würde (Condensed narrative etc. by MacGillivray )
, und ich glaube nicht, daß Guiana ein zweites Beispiel dieser Art darbietet; dennoch ist dies nicht der merkwürdigste Umstand, der mit Roreima verknüpft ist. Es sind die Gewässer, welche sich in reicher Fülle von diesen Felsenwänden stürzen, und, so fremdartig es erscheinen mag, den drei mächtigsten Flüssen des nördlichen Halbtheils Südamerika’s zufließen. Die Entstehung dieser Wasserfülle kann ich mir nur durch den Umstand erklären, daß der atmosphärische Niederschlag der Wasserdämpfe durch die kalten und jähen Felsenwände sehr befördert wird. Locale Umstände, und unter denselben in erster Instanz die dichten Waldungen, welche sich gegen Norden von seinem Fuße bis zur Küste des Atlantischen Meeres ziehen, während sich nach Süden unabsehbare Savannen erstrecken, mögen zur Vervielfältigung dieser flüssigen Niederschläge beitragen. Der Gipfel ist an manchen Stellen abgerundet, und mit Sträuchern und Bäumen bewachsen; allein diese Abrundungen erheben sich kaum  Foot: Fuß (Großbritannien), 56 Foot entsprechen 17,07 m56 Fuß über die jähe Felsenwand, da der höchste Strauch in einer Entfernung von drei Meilen nur einen Winkel von 8′ mit derselben bildete. Roreima bildet daher im Großen das, was die Brockenquelle im Kleinen ist. Von seiner Ostseite ergießt sich der Coting, den wir früher in 4° 10′ 48″ nördl. Br. überschritten hatten, wo er  Foot: Fuß (Großbritannien), 280 Foot entsprechen 85,34 m280 Fuß breit war. Seine Quellen sind in 5° 10′ nördl. Breite, und er sendet seine Gewässer durch den Tá kutu, Rio Branco und Rio Negro dem Amazonenstrome zu. Etwas nördlicher stürzt sich der Cuya von seiner Höhe, und fließt durch den Cacko und Mazuruni (die Indianer nennen ihn Mazuring) dem Essequibo zu. Von der südwestlichen Seite stürzen sich mehrere Bäche, welche in den Cuckenam fließen, der seine Quellen auf der nordöstlichen Seite des benachbar | 121ten Icuckenam hat, und durch den Yuruani und Carony in den Orinoco fällt. Der Yuruani, welchen die Indianer die Quelle des Carony nennen (Caroni Yamée, d. i. Caroni-Kopf), fließt von der nordwestlichen Seite des Icuckenam. Vom Berge Marima, etwas nordöstlich von Roreima, ergießen sich mehrere Bäche, die sich in dem Aruparu vereinigen, welcher in den Cacko fällt, der seine Quellen auf dem nordwestlichsten dieser Gruppe, dem Irutebuh hat. Der Cacko ist einer der Hauptzweige des obern Mazuring.

Von der südwestlichen Seite Irutebuh’s fließt der Cama, welcher durch den Pau wang in den Carony fließt. Das Dasein der fernen südöstlichen Verzweigung des Carony ist in letzterer Zeit sehr bezweifelt worden; es freut mich daher, daß ich auch in dieser Hinsicht zur Aufklärung der Geographie dieses Theils habe beitragen können. Von der Verbindung des Cuckenams mit dem Yuruani an nennen die Indianer den Fluß Carony.

Hier vereinigen sich daher die natürlichen Gränzen der britischen Guiana mit denen von Colombia und Brasilien; und dieser Punkt wird nicht allein in geographischer, sondern auch in politischer Hinsicht wichtig, seine physische Beschaffenheit ganz aus dem Auge gesetzt, welche nicht minder merkwürdig ist.

Diese Gebirgsgruppe ist gewöhnlich mit Wolken bedeckt; während der vier Wochen, die ich in ihrer Nähe gewesen bin, war Roreima zwei Mal, und nur für kurze Zeit, wolkenleer. Meine astronomischen Beobachtungen sind unter diesen Umständen sehr kärglich; dazu kommt noch, daß mein Höhen-Barometer so in Unordnung gerathen war, als ich Pirarara verließ, daß es mir nicht gelang, dasselbe zurecht zu setzen, und ich es deßhalb zurücklassen mußte; zudem zerbrach wenige Tage vor meiner Ankunft allhier mein bestes Thermometer, so daß ich gegenwärtig auf ein einziges beschränkt bin. Einer Anzahl Versuchen gemäß hat siedendes Wasser eine Temperatur von  Fahrenheit: Temperaturmaß, 199,95 Fahrenheit entsprechen 93,31 °C199°,95 F. im Dorfe | 122Awarayambotté; die damit korrespondirende Höhe muß daher jenen angegebenen zugefügt werden, um die Höhe über der See zu erhalten.

Während der Nacht, die wir auf Roreima zubrachten, stand Fahrenheit’s Thermometer um

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12 Uhr p. m. 6 Uhr a. m. 7 Uhr a. m.
 Fahrenheit: Temperaturmaß, 57 Fahrenheit entsprechen 13,89 °C57°  Fahrenheit: Temperaturmaß, 57,5 Fahrenheit entsprechen 14,17 °C57°,5  Fahrenheit: Temperaturmaß, 60 Fahrenheit entsprechen 15,56 °C60°
 Réaumur: Temperaturmaß, 13,9 Réaumur entsprechen 17,38 °C13°,9  Réaumur: Temperaturmaß, 14,1 Réaumur entsprechen 17,62 °C14°,1  Réaumur: Temperaturmaß, 15,5 Réaumur entsprechen 19,38 °C15°,5 Réaumur

und während eines Gewitters, welches über den Berg zog, fiel es um 11 Uhr a. m. auf  Fahrenheit: Temperaturmaß, 57 Fahrenheit entsprechen 13,89 °C57° ( Réaumur: Temperaturmaß, 13,9 Réaumur entsprechen 17,38 °C13°,9 R.). Die Wolke, welche diesen niedrigen Stand verursachte, war so dicht, daß uns völlige Dämmerung umgab.

Kaum habe ich Worte, die interessante Flora dieser Gegend zu beschreiben; eine solche Fülle habe ich nie vorher gesehen. Jeder Schritt zeigte mir etwas Neues. Unter Melastomaceae , Andromedae, und Büschen mit lederartigen Blättern und rosenähnlichen Blumen fand ich auch jene Orchidea, die ich bereits im Eingange dieses Briefes erwähnte. Da ich nicht die literarischen Quellen mit mir führe, welche nöthig sind, um mit Gewißheit zu untersuchen, ob diese Pflanze früher schon beschrieben sei, – was ich alle Ursache habe, zu bezweifeln, – so habe ich es für besser gehalten, die Beschreibung, Zeichnungen und getrockneten Exemplare zur Untersuchung an Hrn. Bentham in London zu senden.

Ich gedenke morgen meine Untersuchungen weiter nach Westen fortzusetzen; alle Anstalten zur Abreise sind getroffen; meinen nächsten Brief hoffe ich aus Esmeralda datiren und Ihnen von dort aus die Entdeckung der Quellen des Orinoco melden zu können.

Ich habe die Ehre, u. s. w. Robert H. Schomburgk .

Die Erstellung der Datenbestände der edition humboldt digital ist ein fortlaufender Prozess. Umfang und Genauigkeit der Daten wachsen mit dem Voranschreiten des Vorhabens. Ergänzungen, Berichtigungen und Fehlermeldungen werden dankbar entgegengenommen. Bitte schreiben Sie an edition-humboldt@bbaw.de.

Zitierhinweis

Robert Hermann Schomburgk an Alexander von Humboldt. Arékuna-Dorf Uruparu, 17. November 1838, hg. v. Ulrich Päßler unter Mitarbeit von Anne Greenwood MacKinney und Christian Thomas. In: edition humboldt digital, hg. v. Ottmar Ette. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. Version 9 vom 04.07.2023. URL: https://edition-humboldt.de/v9/H0019591


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