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1850

Ihr Brief, mein theurer Freund, hat mich nichts weniger als beruhigt. Ich bleibe bei dem festen Entschlusse dass es von keiner Corporation, von keiner äusseren Macht abhängt, über meinen Ruf nach ihren Ansichten zu verfügen, mir eine Ehre anzuthun die mir schmerzhaft wird, weil sie meinen innersten Gefühlen entgegen ist. Ich protestire gegen jedes Experimentum in corpore vivo, gegen den Vorsaz, welche mildernden Formalitäten man auch dabei anwenden möchte, einem lebenden Menschen, an demselben Orte lebenden Menschen! Mitglied einer Akademie während seines Lebens! eine Büste zu widmen. Wenn die Akademie beschliessen will (nach dem Gebrauch anderer Akademien in Europa) nach meinem Tode meine Büste, in grosser Entfernung von dem unsterblichen Erfinder der Infinitesimal-Rechnung aufzustellen, so würde ich meinen Ehrerbietigsten Dank dafür aussprechen. Das ist der einzige Punkt um den es sich handelt und ich traue selbst einer Akademie Zartheit der Gefühle genug zu, um der Bitte eines 80 jährigen Mannes nachzugeben. Erlange ich dies nicht durch die vier Briefe gleichen Inhalts, die ich an die 4 Herren Secretare geschrieben | 1vhabe, so bleibt mir nichts anderes übrig, als (was ich sehr ungern thue, aber doch thun werde) an die Gesammtacademie zu schreiben. Sollte dies wieder nicht helfen, so bleibt mir nur übrig 1) den Ort zu meiden, an dem man mir so einfache Bitten abgeschlagen und 2) was ich deshalb versucht habe zu veröffentlichen. Ich scheue das Tadelswerthe solcher Schritte nicht.

Ich weiss, theurer Ehrenberg wie sehr ich auf Ihre Zuneigung rechnen darf, wie sehr Sie aus eigener Erfahrung wissen, dass moralische Verstimmung an der Arbeit hindert – und doch ist Arbeit, Vollendung des Angefangenen die einzige Zerstreuung, die ich jezt mir in meiner zerissenen, oft trüben äusseren Lage verschaffen kann. Ich bitte Sie innigst unseren Collegen Herrn Professor Trendelenburg auf dessen Zartgefühl, ich, wie auf das Ihrige, rechne, diesen Brief vor Mittwoch mitzutheilen.

Mit alter Verehrung und Liebe Ihr sibirischer Reisegefährte AlHumboldt

Potsdam den 5 Mai 1850

Der 4te August ist übrigens für mich eine rein mythische Epoche. Ich mag 1800 zum Correspondenten ernannt worden sein, wovon aus guten Gründen in der Waldgegend des Orinoco wie auch später ich nie etwas vernommen: Ich weiss bloss in der deutlichsten Erinnerung | 2rdass ich erst nach meiner Rückunft aus Mexico, also etwa 1804 Mitglied der Berliner Akademie geworden bin und über Rom von Buch und Gay Lussac begleitet zurückehrend vom alten Formey in einer Französichen Rede aufgenommen worden bin. Aber dies Datum ist sehr gleichgültig. Worauf ich sehr bestimmt nach meinen unveräusserlichen Freiheitsgefühlen dringe, ist dass die Akademie die vielleicht jezt schon anzufertigende Büste erst nach meinem Tode aufstellen lasse. Nur der Pabst und die evangelischen Consistorien behaupten Untrüglichkeit nicht die Akademien. Ich habe Ihnen gewiss zu schroff die Folge meiner Handlungsweise geschildert man kann mich lebhaft tadeln, aber ich gehe nicht von diesen Entschlüssen ab, wenn in dem einzigen Punkt meinem flehendlichen Bitten nicht nachgegeben wird.

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Zitierhinweis

Alexander von Humboldt an Christian Gottfried Ehrenberg. Potsdam, 5. Mai 1850, hg. v. Anette Wendt unter Mitarbeit von Eberhard Knobloch und Linda Kirsten. In: edition humboldt digital, hg. v. Ottmar Ette. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. Version 9 vom 04.07.2023. URL: https://edition-humboldt.de/v9/H0016597


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