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Mittwoch, den 20. Febr. 1839

Innig veehrter Herr Baron

Ein in der Akademie am vorigen Montag zu haltender Vortrag führte mich zur erneuten Untersuchung des Meeressandes den ich schon oft untersucht hatte, gab aber dießmal ein überaus glückliches Resultat. Es gelang mir an den von Rudolphi auf seiner italienischen Reise wahrscheinlich aus dem Meere selbst genommenen Sande von Rimini zu erkennen, daß die Hauptmasse der Formen noch jetzt dort lebende Thiere sind und so habe ich denn die Thierchen ohne ihre Schaale ziemlich wohl erhalten getrocknet vor mir und aller Zweyfel über die Stellung dieser Formen im Thierreich ist gehoben. | 1vMan sieht ihre Eier und die von ihnen zulezt verzehrten Infusorien (Kieselpanzer) in ihrem Inneren liegen. Bisher hatte ich das nur bey einem Thierchen des rothen Meeres gesehen und es war eine Form welche den Felsen bauenden Kalkthierchen der Kreide fremd ist. Jezt habe ich die gleichen Gattungen in ihrer Organisation gesehen.

Ich habe mit schwacher Säure die Kalkschaalen der vorher im warmen Wasser aufgeweichten Thierchen rein abgelöst und den kleinen frey gewordenen Körper nachdem er langsam angetrocknet mit Terpentin wieder durchsichtig gemacht. Es gelang bey Rotalia Beccarii (Nautilus Beccarii Linné) und Nodosaria (Marginulina) Raphanus von Rimini, ferner bey Peneroplis planatus (Nautilus planatus Fichtel & Moll) aus dem rothen Meere und von Rimini, endlich | 2rmit Abiculina numismalis von Sankt Domingo, die ich aus Schwämmen nahm, welche mein Bruder mir geschickt hat und worin auch noch eine Pavonina oder Peneroplis flabelliformis mit vortrefflichen Structur Details erhalten war. All diese in zahlreicher Menge beysammen lebenden und meist überausverbreiteten Formen gehören der Jeztwelt und allerdings den Bryozoen an. Zeichnungen und Präparate habe ich vorgestern in der Akademie und gestern in der Naturforschenden Gesellschaft vorgelegt. Rotalien bilden die Hauptmasse der Kreide mit Textularien. Die Thiere der lezteren werden sich nun auch schon finden, doch sind die fraglichen Formen viel kleiner und gehören anderen Arten an.

Hätte mein Unglücksfall bei Brighton in England mich nicht unfähig gemacht dort noch etwas zu thun, so hätte ich wohl die lebenden Thiere schon damals | 2vgefunden.

Es ist schade, daß d’Orbigny welcher mitten unter den günstigsten Verhältnissen des Lebens saß nur die Schaalen classificiert hat, wodurch dann seine Anordnung der 600 Arten wieder umzuarbeiten ist.

Verzeihen Sie mir die lange Gewohnheit Sie immer von meinen Beschäftigungen zu unterhalten. Ich denke wenn andere wichtige Dinge Sie lange in Spannung erhalten haben, daß dann ein Blick in die Welt des Kleinen Sie doch vergnügt. Specieller mag ich Sie sorglich damit nicht in Anspruch nehmen.

In herzlicher Verehrung Ihr dankbarster Ehrenberg

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Zitierhinweis

Christian Gottfried Ehrenberg an Alexander von Humboldt. [Berlin], [20. Februar 1839] , hg. v. Anette Wendt unter Mitarbeit von Eberhard Knobloch und Linda Kirsten. In: edition humboldt digital, hg. v. Ottmar Ette. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. Version 9 vom 04.07.2023. URL: https://edition-humboldt.de/v9/H0016546


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