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An Alexander von Humboldt

Nach meiner Rückkehr in die Nähe des Vaterlandes nehme ich mir die Freiheit Euer Hochwohlgeboren für die Menge von Empfehlungsbriefen zu danken, mit welchen Sie die Gewogenheit hatten mich und meinen Freund Hemprich auszurüsten und von denen Vortheil zu ziehen wir in Syrien Gelegenheit fanden. Das unglückliche Geschick, welches unsere Reise in ihrer ganzen Ausdehnung verfolgte ist Ihnen durch Herrn Professor Lichtensteins Mittheilungen hinlänglich bekannt. Auch schwachen Kräften können günstige Verhältnisse reiche Ausbeute gewähren, aber in ungünstigen doch etwas gethan zu haben ist der leidige Trost, den ich beim Verlust von 8 Begleitern und des Freundes mit mir bringe. Es wird schwer halten der Meinung, welche Herr Professor Lichtenstein und andere Freunde von uns ausgestreut haben nahe zu kommen und desto schwerer je enger wir durch finanzielle Fesseln an die Bereicherung der Museen gebunden werden und je enger diese Fesseln mich fernerhin umschließen werden, da Sammeln von uns als Hauptsache zur Pflicht gemacht war. Nebenbei haben wir wohl hier und da durch glücklichen Zufall artige anatomische und physiologische Beobachtungen gemacht, doch brauche ich Ihnen nicht zu sagen, daß dergleichen weit häufiger und fast ausschließend bei müßiger heiterer Anschauung der Naturkörper und ihrer Zusammenstellung resultiren. Was uns so gern Hauptsache gewesen wäre mußte Nebensache werden, drum ist das Hauptresultat unserer Reise eine durch den Transport und die Quarantaineanstalten halb zerstörte Naturaliensammlung.

Doch haben wir allerdings sowohl die allgemeinen und specielleren Landeseigenthümlichkeiten, als die besonderen Verhältnisse der zusammengetragenen Körper zu einander und zum Lande, ihren lebenden | 1vZustand, ihren inneren Bau und wo es anging ihre allmälige Entwicklung beobachtet und schriftlich festgehalten. Auch enthielt die Masse der überall nach dem Leben entworfenen Pflanzen und Thierbeschreibungen der naturgeschichtlich wenig untersuchten Länder nothwendig manchen Stoff zu interessanten Combinationen und es fehlt nicht an ächt afrikanischen Neuigkeiten. Ueberdies habe ich viele Zeit verwendet um alle vergänglichen Naturkörper durch colorirte Zeichnungen oder wenigstens durch genaue Umrisse auf der Stelle festzuhalten und es schien uns wichtig genug auf der letzten unglücklichsten Reise einen etwas im Zeichnen erfahrnen Europäer an uns anzuschließen, um besonders die noch so wenig gekannten Formen der Fische des rothen Meeres wohl colorirt und genau gezeichnet in größerer Masse festzuhalten. Wir besitzen dadurch allein 300 Abbildungen verschiedener Fischarten, von denen 120 colorirt sind. Die Formenreihe, welche zwischen den Mollusken und Infusorien liegt hat, wie Sie leicht glauben werden, im rothen Meere eine bedeutende Niederlassung und ich habe ihrer Sammlung, Feststellung und Beobachtung manche Zeit gewidmet. Besonders reich sind unsere Blätter und unsere Sammlung an Anneliden, so daß sie weit über Savigny’s Schranken steuern. Eine merkwürdige hinlänglich große Form giebt den handgreiflichen Beweis der Verwandtschaft der Ascidien mit den Acephalen, wie sie durch Cuvier festgestellt ist, andere kleinere zeigen deutlich die Art, wie die Savigny’schen zusammengesetzten Ascidien sich bilden und vereinen. Uebrigens habe ich hinlänglich Gelegenheit gehabt den mir wie Anderen auf den ersten Blick zu ideal erscheinenden meisterhaften Zergliederungen von Savigny ihr Recht widerfahren zu lassen. Ich rechne es mir zu großer Ehre zuweilen mehr gesehen zu haben als er, doch häufiger fand ich was | 2rer sah nach vieler wiederholter Mühe, selten es anders. Wer was er sah oder zu sehen meinte in klarem scharfen Bilde wiedergiebt, thut weit besser als andere die sich und ihre Bilder in Rauch und Nebel verhüllen. Ob die Bedeutung der einzelnen Theile die rechte sei kümmert den Anatomen nicht. Die Corallenthiere von Fangia bis Millepora habe ich mühsam beobachtet und abgebildet und vielleicht, aber nur vielleicht, das Detail ihres inneren Baues einigermaßen errathen. Infundibulum und Dentalium haben wir häufig mit aller Anstrengung aber wie lebend gefunden. Fruchtbare Beobachtungen dieser Art wollen viel Zeit und große geistige und körperliche Ruhe, Dinge die uns sämmtlich mangelten. Die Eingeweidewürmer haben wir in allen Thieren berücksichtigt und eine bedeutende Sammlung eingeschickt; viele habe ich lebendig gezeichnet und einige anatomirt.

Von Spinnen habe ich über 100 Arten größtentheils Aegyptens mit manchem Detail gemalt. Von anatomischen Resultaten ist eines der merkwürdigsten, daß Mygale nicht 2 wie alle übrigen sondern 4 Lungen hat.

Alle hartschaligen und dauerhaften Insekten haben wir ihre Entwicklung und Anatomie, ausgenommen wo sie begünstigt wurde, späterer Bearbeitung vorbehalten.

Die Amphibien habe ich alle auf der Stelle gemalt wie es möglich war und nur wenig im Verhältniß sind zurückgeblieben. Die Fische sind fast alle oberflächlich anatomirt einige specieller. Eins der interessanteren Resultate der Anatomie ist eine 1 ½ Zoll große Gehörschnecke mit 8 Windungen in einem neuen Nilfisch.

Die Vögel sind fast alle vor dem Ausbalgen gemessen und die Dimensionen niedergeschrieben worden, ebenso bei bei Säugethieren in beiden Klassen sind häufig wenigstens oberflächliche Anatomie, in einzelnen specieller einzelner Organe veranstaltet worden.

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Von Pflanzen habe ich über 1000 Specialbeschreibungen gemacht und hoffe zwar nicht daß die Bekanntmachung aller nöthig seien wird, da gewiß blos unsere geringen litterärischen Reisehülfsmittel die scheinbare Neuheit dieser Masse bedingten, hege aber doch das Vertrauen daß mir die Botanik manch neues Pflänzchen und über manch altes interessante Notizen zuführte.

Wahre lebendige Mineralien (Krystalle) haben wir auf der ganzen Reise nur 9 Arten gefunden, aber die Massen des Todten, welche weit überwiegender sind, haben wir in ihren todten Verhältnissen auch berücksichtigt.

Mögen Sie hieraus entnehmen daß wir zum Hauptaugenmerk hatten immer erst die Form und dann den Inhalt festzuhalten, weil der Inhalt ohne Sicherheit der Form unnütz ist, darum sind wir aber auch freilich meist nur bei der Form geblieben. Einiges wird sich nachholen lassen, Alles zu berücksichtigen ist auf einer Reise für ein und zwei Personen unmöglich.

Unsere Reisebemerkungen, die im Verhältniß nur wenig einzelne Körper übergangen haben, im Verein mit dem lehrreichen Umgang der vaterländischen Naturforscher und mit der eifrigen Benutzung der Bibliotheken [...] werden mich in den Stand setzen sowohl die Eigenthümlichkeiten und wichtigeren Beziehungen aller gesammelten Körper darzustellen, als auch das Bekannte von dem Unbekannten scharf zu sondern. Alles wird ein Gegenstand meiner Beachtung sein aber nur das als neu und nützlich erkannte würde ich allmälig zur öffentlichen Kunde stellen. Euer Hochwohlgeboren, so reich an Erfahrungen und genialen Ansichten versagen mir bei dieser Arbeit gewiß Ihren Rath, Ihre Belehrungen und Zurechtweisungen nicht und ich flehe darum.

Nach den neuesten Briefen Herrn Professor Lichtensteins | 3rbin ich in bange Sorge versetzt über die hinterlassene Mutter und Schwester meines Freundes Doktor Hemprich, welche zwar die Gnade Seiner Majestät des Königs ohne vorhergegangene Verwendung aus eignem Antrieb berücksichtigt habe, aber doch zu kärglich, als daß es zu ihrer Subsistenz hinreichend wäre. Auch haben Seiner Excellenz der Herr Minister Altenstein Bedenken getragen diesen Gegenstand weiter zum Vortrag zu bringen, da doch auch für mich etwas gethan werden solle. Wenn ich es wage Euer Hochwohlgeboren um Ihr gütiges so viel vermögendes Fürwort in dieser Angelegenheit zu bitten, so geschieht es aus der Ueberzeugung, daß der Verstorbene hinreichend Kraft besaß diese, durch den ebenfalls im Dienste des Staates erlittenen Verlust des Vaters, unglückliche Familie ehrenvoll zu erhalten und daß seine rastlose uneigennützige Thätigkeit es in 5 Jahren verdient habe, daß der Staat an seine Stelle trete. Je weniger ich selbst auf irgend eine Art von Belohnung Anspruch nehme und je tiefer es mich betrüben würde dieser unglücklichen Familie auf irgend eine Art im Wege zu stehen, desto dringender empfehle ich Ihnen jene Verlassenen und vertraue darauf, daß durch Ihre gütige Verwendung die Gnade Seiner Majestät sich erweitern werde.

Indem ich die Ehre habe Euer Hochwohlgeboren meine innigste Hochachtung und Verehrung an den Tag zu legen, verharre ich in dankbarster Ergebenheit, mich Ihrer hochehrenden Gewogenheit empfehlend Herrn Baron Ihr gehorsamster Diener C G Ehrenberg.

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Zitierhinweis

Christian Gottfried Ehrenberg an Alexander von Humboldt. [Triest], [Januar 1826] , hg. v. Anette Wendt unter Mitarbeit von Eberhard Knobloch und Linda Kirsten. In: edition humboldt digital, hg. v. Ottmar Ette. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. Version 9 vom 04.07.2023. URL: https://edition-humboldt.de/v9/H0016538


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