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27 Juni 1853.

Wenn ich Ihnen neulich Nachricht von dem wunderbaren stationären Leben in 10,000 bis 14,284 Fuß Höhe unserer Alpen (Groß Glockner, Monte Rosa) gab, welches die Gebrüder Schlagintweit mir zugeführt haben, so kann ich Ihnen nun die speciellen und festen Verzeichnisse derselben mittheilen. Die kleinsten Erdproben aus den größten Höhen scheinen überall Leben zu enthalten.

Mag man das Kleine hier und da kümmerlich nennen, in ihrem Kreise sind all diese Formen nicht kümmerlich, es sind den vollwichtigen Regentropfen aus denen sich Meere bilden verwandte Dinge.

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Die überall auf der Erde den physikalischen Feindseligkeiten siegreich widerstehenden Formen und Organisationen sind Eunotia amphioxys und Pinnularia borealis.

Die sonderbaren auf den Gipfeln des Monte Rosa (Weissthor) lebenden eigenthümlichen TardigradenAnmerkung des Autors (am linken Rand) Die schöne   Doyere 1840

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Arbeit von Doyère über die Tardigraden
ist jetzt als Vergleichungspunct der pariser ähnlichen Formen recht wichtig.
und Rotatorien scheinen ein Bedürfniß für so dünne Luft und Wärme zu haben. Sie leben zwischen den Bacillarien wie reiche wohlgenährte Leute, wie Ichthyosauren zwischen Cephalopoden.

Das seltsame Fortleben, welches offenbar kein Wiederaufleben ist, habe ich am Donnerstag vor 8 Tagen an vielen Hunderten von Exemplaren die 1851. in 11138. Fuß Höhe von Schlagintweit unbewußt gesammelt wurden in der Akademie unter Mi | 2rkroskope zur Anschauung gebracht. Als wären wieder die große Mehrzahl todt, einige Bärenthierchen und Räderthiere aber kräftig laufend und kriechend. Heut noch sah Doktor Weisse aus Petersburg sich das noch fortdaurende Leben bey mir an. Daß viele dieser Formen ausgezeichnete besondere Arten sind ist physiologisch imponirend.

Bey den minder entwickelten Räderthieren ist nicht der Darmkanal auffallend von Nahrung erfüllt, aber dessen Seitentaschen. Die vielen Blinddärmchen enthalten einen reichlichen orangefarbenen bis scharlachrothen Stoff, dessen Farbe sehr der der Pelfidea crocea gleicht, welche dort zahlreich wächst. Oft habe ich auch jetzt wieder gesehen, daß die Räder | 3rthiere im contrahirten eiförmigen Zustande mit den Zähnen, die dann in ihrer Mitte liegen, deutlich kauen. Ebenso habe ich bey contrahirten, gar nicht entwickelten Thieren unter Wasser im Uhrglase direct gesehen, daß sie binnen 24 Stunden ein reifes Ei ausbildeten. Offenbar öffnen also diese Thiere im contrahirten Zustande ihre Mundröhre und ziehen Feuchtigkeit, wenn sie da ist, ein, um sich von deren Gehalt zu nähren und fortzupflanzen.

Ich füge dieser kleinen Abhandlung noch eine frühere über   Ehrenberg 1853

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Florida
bey, deren Einleitung ich früher sandte.

In meinem Hause habe ich seit 3 Wochen schwere Zustände. Meine älteste Tochter Helene 19 Jahr, ein Bild frischen Lebens, die nie krank war, ist plötzlich am Nervenfieber erkrankt und erst vorgestern, am 21sten Tage ist nach sehr zweyfelhaften Erscheinungen unter anhaltenden Deliriren, Nachlaß des Fiebers und Schlaf erfolgt. Mit Hülfe des Doktor Paetsch und Geheimenrath Wolff sind die gräßlichen Wochen Gott sey Dank nun vorüber und wir können hoffen, daß eine lange Reconvalescenz das Gleichgewicht wieder bringen wird.

Gott erhalte Ihre Gesundheit. In herzlicher treuer Verehrung Ihr dankbarst ergebener Ehrenberg.

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Zitierhinweis

Christian Gottfried Ehrenberg an Alexander von Humboldt. [Berlin], 27. Juni 1853, hg. v. Anette Wendt unter Mitarbeit von Eberhard Knobloch und Linda Kirsten. In: edition humboldt digital, hg. v. Ottmar Ette. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. Version 9 vom 04.07.2023. URL: https://edition-humboldt.de/v9/H0016516


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