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Bayreuth, den 7. Februar 96.

Ich eile, liebster innigst verehrter Soemmerring Ihren Wunsch zu erfüllen. Ich bin ein eitler Mensch und am eitelsten darauf  Um welche (geplante) Veröffentlichung Soemmerrings es sich handelt, konnte bislang nicht ermittelt werden.

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in Ihrer vortreflichen Schrift
eingeführt zu werden. Dazu habe ich nie, nie so viel Fleiß an eine Arbeit gewandt als an dies Nervenbuch. Auch glaube ich, daß es viel neues enthält. Besonders über vermehrte Reizempfänglichkeit werden Sie wundersame Versuche mit opium, moschus, Cinchona, Alcalien, Säuren, Arsenik p lesen.

Ich schikke Ihnen hier was von meinem Manuscript ins Reine geschrieben ist von pagina 1–62. Ich bitte Sie herzlich (Sie wissen, wie ängstlich man mit Manuscripten ist) mir den Empfang zu melden, aber nach Berlin, wohin ich in 8 Tagen abgehe. Zugleich bitte ich Sie, wenn Sie das Manuscript gelesen haben, es sammt den Zeichnungen, die ich Ihnen wild abgezeichnet, bald an Blumenbach nach Göttingen mit der Post zu senden. Sie wissen aus der  Humboldt 1796a.

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Litteratur Zeitung
und  Zur Widmung von Humboldt 1796 vgl. Humboldts Briefe an Soemmerring, Bayreuth 7. Juni 1795 und Goldkronach, 29. Juni 1796.

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meinen Briefen, daß das Buch Ihnen dedicirt
und mit Anmerkungen von Blumenbach versehen wird. Ich wünschte die Anmerkungen nur der Introduction in das Medicinische | 1vPublikum wegen, deren ich so sehr bedarf, und die Sie durch Ihren Appendix wohl auch befördern. Eine so platte Eitelkeit, wie die meinige, denk’ ich, ist am ehesten zu verzeihen. Ich denke in Berlin einen Buchhändler zu finden, der mir das Manuscript gut bezahlt, was mir nicht uninteressant ist, und darum muß Blumenbach mir die Bogen zurük nach Berlin senden.

Sie beschwöre ich, mein Guter, was Sie beim Lesen finden und Ihnen anstößig ist, auch leicht geändert werden kann, gleich hinein zu corrigiren. Sie verbinden mich unendlich dadurch. Für die Sicherheit der Versuche kann ich stehen. Ich experimentire täglich und noch heute. Dazu empfehle ich Ihnen zu lesen meine Aufsäze in Grens neuem Journal 95, Band 2, Heft 2, pagina 115. ferner Band 2. Heft 4, pagina 471. und besonders den neuen durch Scarpa veranlaßten Band 3. Heft 2.

Ueber spezifischen Reiz der Nerven und Muskeln werden Sie wundersame Sachen in meinem Buche lesen. Gott! wenn ich sie Ihnen nur mündlich erzählen könnte. Es scheint erwiesen, daß Säuren allein auf Muskel, Alcalien auf Nervenfaser wirken. Nehmen Sie nakte Schenkel von Fröschen, thun Sie den Nerv in gemeine Salzsäure alle Contraction verschwindet bald ganz. Gießen Sie oleum tartari per deliquium auf, es braust, aber die Erregbarkeit kom̅t nicht wieder.Anmerkung des Autors (am linken Rand) an warmblütigen Thieren bereits wiederholt! | 2rUmgekehrt: Ich hatte Schenkel die mit Gold und Zink nur schwach zukten. Baden Sie den Nerv in oleum tartari per deliquium. Seine Reizempfänglichkeit wird in 3 Minuten so fürchterlich dadurch erhöht, daß der Schenkel nun mit Zink und Zink heftig zappelte. Und diese Munterkeit ist anhaltend auf 20 Minuten praeter. Ueberreizen Sie aber den Nerv durch ein alcalisches Bad von 8–10 Minuten so entsteht tetanus, endlich volle Unempfindlichkeit. Gold und Zink bringen dann keine Spur von Bewegung hervor. Gießen Sie nun Kochsalzsäure auf den überreizten Nerv, es brauset und bald, bald drauf ist die Reizempfänglichkeit wieder da. Der Schenkel zappelt nun wieder. Oft wiederholt.

Die Säuren, Cinchona scheinen den Muskel zu constringiren, die Masse zu stärken die die Nervenkraft beseelen soll. Ich glaube Hufeland Pathogenie pagina 121. hat davon geahndet, ein Buch das sonst viel schlechtes und meine Definition der Lebenskraft, als Eigenthum, aufführt.

Auch glaube ich nicht daß Säuren den Nerv deprimiren, asthenisch wirken weil sie zerfressen. Das geschieht gar nicht. Ich habe nun auch entdekt, daß oxygenirte Kochsalzsäure die Nervenerregbarkeit furchtbar erhöht, stärker noch wie bei den Pflanzen. Ich habe nakte Schenkel durch benezen des crural nerv mit derselben zum lebhaften Zappeln gebracht. Ja, ich habe ein Herz, das lange nicht mehr pulsirte, durch dephlogisirte Salzsäure wieder zu anhaltendem Pulsiren erwekket. Mit gemeiner Salzsäure will der Versuch nie glükken.

| 2vNun noch ein zusammengesezter Versuch: Ein Froschschenkel der so matt war, daß er mit Zink und Silber nur innerlich einiges Muskelzittern zeigte, sich aber nicht von der Stelle bewegte, that das leztere, zappelte heftig, als er 2 Min. lang in extracto cornu cerviAnmerkung des Autors (am unteren Rand) Der Hirschhorn Geist erhebt Erregbarkeit aber nur auf 4–5 Minuten, nie länger. Anders ist die Wirkung des Alkalischen Bades, das Stundenlang wirkt. Ist in beiden ein feiner Stoff der sensible Fiber stimmt, in jenem flüchtiger in diesem dauernder, fixer? gebadet wurde. Noch mehr gebadet entstand Ueberreizung debilitas indirecta Brownii nun schien alles tot, es war nicht mal innere Bewegung übrig. Ich tauchte den überreizten Schenkel in Moschussolution, aber der Galvanismus konnte ihn noch nicht reizen, er blieb unbewegt. Nun badete ich ihn 4 Minuten lang in oleum tartari, er zukte schon in der ersten Minute und nach 4 Minuten reizte ihn der Zink bis zum Zappeln und Schlagen! Ich wandte nun solutio von Opium thebaicum an. Alle Bewegung alles Zappeln verschwand, nur ein schwaches inneres Muskelspiel blieb. Ich badete das Glied 3 Minuten in Spiritu Camphoris und nun, nun zappelte es wieder —— so hatte ich es in meiner Gewalt die Erregbarkeit zu töten und zu erwekken, 2–3–4 mal an einem Organ. Ein Nerv ist fürchterlich unzerstörbar. Gott! was habe ich ihnen oft mit alcalien und concentrirter Salzsäure zugesezt. — Ich unterscheide genau reizen und Erregbarkeit erhöhen. Mechanisches Kneipen reizt, der Ton, die Reizempfänglichkeit bleibt dieselbe. Oxygenirte Kochsalzsäure reizt nicht. Anmerkung des Autors (am linken Rand) sehr genau wahr! Das Glied zukt wie von selbst wenn es darin gebadet wird. Aber seine Errgebarkeit wird erhöht. Oleum tartari per deliquium reizt und mehrt Erregbarkeit. Schenkel zukken von selbst, wenn sie darin liegen. Dagegen deprimirt, mindert Erregbarkeit jede gemeine Säure ohne zu reizen, ich meine nemlich immer ohne sichtlich zu reizen, ohne daß Muskelcontraction erfolgt.

Arsenikalsolutionen erregen tetanus bloß aus Ueberreizung. | 3r Im Anfang mehrt sie die Erregbarkeit in Galvanischen Versuchen. Aber nachher überreizt das oxygen im Arsenikkalch ut qui cunque stimulus saepius repetitus. Es ist mir gelungen, Froschschenkel, welche durch Arsenik überreizt, mit Zink und Gold ganz unempfindlich blieben, durch alcalische Bäder wieder erregbar zu machen. Sie zukten wieder!

Sollten die Bertholletschen Mittelsalze von oxygenirte Salzsäure und alcali nicht als sthenische Mittel wichtig werden können. Sollten kleine Blasenpflaster galvanisirt, welche so leise und angenehm reizen, so unaufhörlich serum herbeilokken, bei rheumatischem Hüftweh und Hydropisie in den Nervenscheiden nicht wirksam sein können. (Das Phänomen mit dem ätzenden Serum ist wundersam. Ich habe, von Scarpa gedrungen, es im November an mir selbst mit zwei Canthariden wiederholt. Das weiße unschädliche serum ward blutroth nach einem Galvanisiren von 3–4 Sekunden. Es ströhmte den Rükken hinab. Ich tauchte den Finger in die seröse Feuchtigkeit und mahlte mir Figuren auf den Bauch. Sie blieben 2 Stunden stehen, konnten nicht abgewaschen werden!)

Ich schreibe Ihnen das nicht alles au long, mein Lieber, um mit meinen Versuchen zu plagen, sondern um Sie aufzufordern, mir ein | 3vPaar Worte der Liebe darüber zu sagen. Denken Sie Sich mich, der ich Tag und Nacht nur an Nerven und Erregbarkeit denke und gar, gar keine Aufmunterung habe. Ich bitte Sie, lieber Soemmerring mir ja bald nach Berlin zu schreiben und ob Sie meine Dinge des Publicirens werth halten.

Die Versuche ohne alle Kette pagina 44 meines Manuscripts wird Sie frappiren denk’ ich.

Ich werde zwar gern Ihnen mein Manuscript fernerhin so weit postfrei als mir mögglich ist, nach Franckfurt schikken. Es ist aber die Frage, ob Sie Ihr appendix so weit eindringen heißt. Ich bitte Sie daher, mir bestimmt zu melden, ob ich fortfahren soll Blumenbachen das Manuscript durch Sie zu übermachen.

In dieser Ungewißheit entschließ ich mich auch noch nicht, das Capitel von Herzversuchen, das in tausend Papieren zerstreut ist, zusammenzusezen. Nur so viel heute: Mir hat das Armiren der Herznerven nie geglükkt, wohl aber meinem Bruder Wilhelm an 1 Fuchs, 2 Kaninchen und Ochsen. Er hat durch Armirung der Herznerven und alleinige Berührung von diesen die Schläge des | 4rHerzens voller, und schneller gemacht. Das schnell werden stieg immer erst an, wenn der Nerv stimulirt ward, die Schläge blieben aber in einem gewissen Takt. Ein nicht pulsirendes Herz konnte Wilhelm mittelst der Nerven nie erwekken. Mir aber ist mehrmals vor Zeugen unwidersprechlich geglükt gar nicht mehr pulsirende Froschherzen folgendergestalt zu 2–3 neuen heftigen Schlägen zu reizen. Das Herz a lag auf Zink. An das Herz an die Spize, also nur in Berührung mit Herzmuskel, war ein Stük geronnen Blut oder Muskelfleisch b angelehnt.  
Große Ansicht (Digilib)

Bildnachweis

Bildbeschreibung Schematische Zeichnung eines galvanischen Versuchs [Schließen]
   
Die Silberne Pinzette verband nun bloß b und Zink. Auf die Art war das Herz gar nicht berührt. Das fortgepflanzte Erschüttern von b auf a konnte nicht Ursach sein, da Horn oder Holz statt der pincette gebraucht nichts hervorbrachte. Sollte es nicht Muskelfasern geben für die als solche der Galvanismus ein spezifiker Reiz wäre?

Ich habe eine göttliche Reise gemacht durch Tyrol, Venedig, Verona, Padua, Vicenza, Parma, Mantua, Genua, Pavia, Mailand, ganz Savoyen und die ganze Schweiz. Scarpa ist ein prächtiger Mensch und spricht quo quam maxime gavisus sum, mit einer Art von Enthusiasmus von Ihnen.

| 4vFallen Ihnen ältere Stellen ein über alcalien, so bitte ich Sie innigst darum. Ich mag mir nichts zueignen, was nicht mein eigen ist. Ich kenne keine als die Gmelin apparatus medicaminum Volumen 1, agina 60, stimulant alcalia fibram contractilem et nerveam falsch! und die Cullen’s Lectures on the Materia Medica page 274. alkalines are stimulants. Meine Versuche über Erhöhung der Reizempfänglichkeit halte ich für neu, auch hatte man sonst den Maaßstab nicht, den jetzt das Galvanisiren giebt.

Empfehlen Sie mich Ihrer vortreflichen Gattin. Mit inniger dankbarer Verehrung.

Ihr Humboldt.

Die Erstellung der Datenbestände der edition humboldt digital ist ein fortlaufender Prozess. Umfang und Genauigkeit der Daten wachsen mit dem Voranschreiten des Vorhabens. Ergänzungen, Berichtigungen und Fehlermeldungen werden dankbar entgegengenommen. Bitte schreiben Sie an edition-humboldt@bbaw.de.

Zitierhinweis

Alexander von Humboldt an Samuel Thomas Soemmerring. Bayreuth, 7. Februar 1796, hg. v. Ulrich Päßler unter Mitarbeit von Klaus Gerlach und Ingo Schwarz. In: edition humboldt digital, hg. v. Ottmar Ette. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. Version 5 vom 11.09.2019. URL: https://edition-humboldt.de/v5/H0002658


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