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Hamburg, den 28.ten Jan. 1791. Fünf volle Monathe sind nun schon verflossen, seitdem ich
die Rheinufer verließ. Wenn Sie aus der Art, wie ich
mich
damals an Sie drängte, aus der frohen Stimmung, in die
mich jede
Aeußerung Ihres Vertrauens und Ihrer liebevollen
Zuneigung versezte, auf
am rechten RandWärme und Herzlichkeit des Charakters
in mir
schlossen, so muß es Ihnen jezt um so
räthselhafter sein, daß Sie seit fünf
Monathen keine
Zeile von mir sahen, daß ich eine Erlaubniß nicht
benuzte, die Sie mir selbst freiwillig ertheilten. Nicht
jugendliche
Eitelkeit allein (von der ich mich übrigens nur zu
wenig frei fühle!)
sondern die Empfindung, durch die Ach-
tung guter und edler Menschen geehrt zu sein, läßt
mich
wünschen, daß Ihnen mein Stillschweigen nicht gleich-
gültig und unbemerkt gewesen ist. Ich möchte die Schuld
gern vermehren, weil ich es doch nicht unternehme,
mich zu
rechtfertigen. In der That, mein Bester, die Ursa-
chen meiner Nachlässigkeit sind so einfach, daß sie gewiß
| 1vjedem andern, als Ihnen, geringfügig scheinen würden,
der Sie
wissen, daß Einfachheit und Wahrheit immer
am nächsten mit einander
verwandt sind. Ich verließ
Aschaffenburg (das mir Müllers geistvolle Unterhaltung
und Gollizins ungekünstelte Gutmüthigkeit in der That
sehr, sehr lieb gemacht hatten) mit dem festen
Entschlusse, Ihnen,
sobald ich Hamburg erreicht haben
würde, so manches auszuschütten, wo von mein Herz da-
mals sehr voll war. Ich glaubte, so manches beobach-
tet zu haben, woraus ich frohe Aussichten in die
Zukunft
ahndete, und ich glaubte, dies alles noch
einmal inniger und froher zu
genießen, wenn ich es ei-
nem teilnehmenden Freunde mittheilte. Eine unglükliche
Tour, die ich bald zu Fuß, bald zu Wagen, in dem
unfreundlichsten
Wetter, durch das Vogelsgebirge und einen
Theil der Rhöne machte, knüpfte bald
eine neue Ge-
dankenreihe an jene an. Die gesammleten Minerialien
sollten
geordnet, manche kleine Beobachtung (Sie wissen
wohl, was man in meinem
Alter für einen Werth
auf so etwas legt!) aufgezeichnet werden. Der neue
Auf-
| 2renthalt in Hamburg und
hundertlei kleine Geschäfte, welche
mit jeder Einrichtung unzertrennlich
verbunden sind, zerstreu-
ten mich noch mehr. So war, ohne daß ich es mir
selbst kaum
bewußt war, eine lange, lange Zeit
verflossen und fast meine ganze
Correspondenz blieb un
terbrochen. Ein vernachlässigter Brief
liegt einem Zentner
schwer auf dem Herzen, er ist immer drükkender,
je
weniger man sich durch eine höfliche Entschuldigung
rechtfertigen darf. Man wartet,
sich zu
innerhalb der Zeileaus einer
Art von Rechthaberei, ein Hinderniß ab, auf das man, ex
post, die
ganze Schuld schieben könne und so vergeht ei-
ne Woche nach der anderen, bis die Schaam sich darin
mengt
und einen völlig verstummen macht. Wenn es
gegründet ist, daß diese Schaam
und Gewissenhaf-
tigkeit von einer allzugroßen Leber herrühren, so
leide ich
warlich stark an der Leberkrankheit, und die
einzige Kurmethode, die ich
Ihnen vorschlagen kann,
ist daß Sie mir für mein offenherziges Geständniß
Verzeihung schenken und mir die Freundschaft und Lie-
be wiedergeben, in deren Besiz ich mich so glücklich schäze.
| 2vAußer dem, was meine individuelle Lage betrift und die
Sie
wahrscheinlich schon durch Forster kennen,
darf ich Ihnen
von hier aus wenig verkündigen. Ich lebe in Hamburg
zufrieden, aber nicht froh,
weniger froh selbst als in Göt
tingen, wo der Umgang von ein od. zwei Freunden und über der Zeiledie Nähe
Moosbewachsener Berge mich für die Einförmigkeit meiner Lage
entschädigten. Zufrieden, das heißt durch Ueberlegung zu
frieden bin ich überall, wo ich meinen Zwekken nä
her komme.
Ich lerne auf der hiesigen Handelsakademie und
durch Büschens Umgang sehr viel. Alles Mercantilische
war mir neu, und ich liebe es, weil ich es für nüzlich
halte.
Eigentliche Kollegia höre ich wenig, desto fleißiger
suche ich für mich zu
sein. Ebelings große Bibliothek
kommt
mir sehr zu statten. Philologie, Reisebeschreibungen,
Geschichtsbücher
besizt Ebeling, alles Mathematische und
Physikalische
Büsch und das Naturhistorische Reimarus sehr vollständig.
Denken Sie Sich
nun den freiesten Gebrauch aller dieser
Hülfsmittel, ein enges Zimmer in
einem einsamen
Garten, keine Stöhrung, als eine Glokke, die zum
Mittag
und Abendessen läutet – und Sie müssen gestehen,
mein Lieber, daß man in
Hamburg, troz Göttingen, studi-
ren kann. Mineralogie und Botanik (beide aus Büchern!!) fül
len meine Nebenstunden aus. Dazu habe ich angefangen dänisch
und schwedisch zu lernen, weil die Gelegenheit dazu hier
| 3rsehr bequem ist. Ein 7 od 8 Monath ist so ein Leben erträglich,
aber nach diesen sehnt man
sich auch nach einem freieren Wirkungs-
kreise. An Umgang, nemlich Zusammenessen nennt man hier
Umgang, fehlt es mir bei dem allen nicht. Ich bin in allen
Cirklen, in
den bürgerlichen und adelichen, die sich nach
der löblichen Indianischen
Methode hübsch kastenmäßig von ein-
ander getrennt haben. Da aber hier alles Karten spielt,
so
besuche ich keine Gesellschaft vor dem Abendessen, wo denn
der physische
Genuß freilich sehr groß ist. So viel man am
Rhein auch immer über Adelsstolz klagen
mag, so möchte
ich doch behaupten, daß der Uebermuth des hiesigen Bentincki-
schen (nichtSchimmelman̅ischen)
Cirkels jenen weit übertrift[.]
Die Vernunft unserer westlichen Nachbarn wird dieses Jahrhun-
dert überleben, aber Deutschland wird noch lange anstaunen,
prü
fen, vorbereiten — und den entscheidenden Augenblik
versäumen.
Ist Ihnen die
Berlin. Monathsschrift und H. von Rhamdors
Verteidigung des Adels in die Hände gefallen? Ich kann
dem
nichts als Plattners Dedication an den
Kurfürsten
vor der Neuen Anthropologie
entges
innerhalb der Zeileentgegenstellen
?
innerhalb der Zeile!
Von
einem Leipziger Professor ließ sich so etwas erwarten.
Platt-
ner kennt nur zwei Wege, entweder in den Stand
der
Natur zurüktreten, à la Rousseau
auf allen Vieren gehen,
und wie die Philosophen im Luzian Erdschwämme suchen,
oder unter den Ministern eines
Kf. von Sachsen zu stehen, das
| 3vAbendmahl wie ein moralisches Purgirmittel gebrauchen zu müs-
sen, dabei aber eine Audienz bei einem Fürsten haben
zu können
innerhalb der Zeile, es dem Publikum öffentlich sagen zu
können....
das sind unsere Philosophen und dann
fürchten die Despoten unser
philosophisches Jahrhundert!
Es ist mir ein sehr niederschlagender Gedanke,
wenn Män-
ner wie Garve, Plattner, Zimmermann p. niederreißen, was
andere so mühsam aufgeführt
haben. Es giebt derer,
welche mehr auf Glauben wie auf Ueberzeugung, auf
Autorität mehr, wie auf eigenes Nachdenken bauen
so viele, und darin
liegt der Grund einer Wahrheit,
deucht mich, die so oft verkannt wird, daß
die großen
Charaktere allgemein bewunderter und
gefeierter Menschen
durch ihre Schwachheiten oft mehr böses für die
Nachwelt
stiften, als ihre Tugenden Seegen und Wohlthat ver-
breiten. – Campe hat ein
Projekt, nach Amerika zu
reisen. Ob
er es ausführt ist noch ungewiß. Denken sie [sic]
Sich aber, Lieber, den [sic]
Grund
über der ZeileVeranlassung
den
über den ursprünglichen Text geschriebendie
er angiebt, nicht
etwa um die westind. Jugend mit einem Transport
seiner Kinderbibliotheken,
Robinsonaden p. zu beglükken,
nicht um den Wilden seinen neuen Beweis für
die Un-
sterblichkeit der Seele zu predigen, nicht um das Tanzen
in
Philadelphia nach den Regeln der
Keuschheit zu reguliren,
– nein um die Verfassung des
Nordamerikan. Freistaats in der Nähe
| 4rzu studiren,
es
innerhalb der Zeilesie
nach einem Jahre (denn so lange soll ihn
Europa entbehren) der
alten Welt laut zu verkündigen
und so Freiheit und Wahrheit über die
Menschheit zu ver
breiten. Ist je eine drolligere Idee in eines
Menschen
Kopf gekommen! Ich erwarte täglich den Brief, worin
Campe mir das Mitreisen anbietet.
den 20ten Febr.
So weit schrieb ich diesen Brief vor etwa 3 Wochen. Ich
wollte ihn nicht
unvollendet abschikken, und ich wurde wenige
Tage nachher krank.
Verschleimungen waren wahrscheinlich wieder
die Ursachen eines über der Zeileziemlich heftigen Flußfiebers. Ich fürchtete ein
Faulfieber, das hier wie eine allgemeine Epidemie war.
Aber ich kam
diesmal besser davon und bin jezt ganz
hergestellt. – Von unserem
treflichen Jacobi habe ich lange
nichts
vernommen. Durch Claudius weiß ich daß Sie
die-
sen Herbst bei ihm waren. Schreiben
Sie mir doch ja
von ihm, von seinen jezigen Arbeiten p[.]
Ich lege diesem langen Briefe eine Zeichnung von einer
sogenannten
versteinten Kinderhand bei, welche im Riegels-
dorfer Schiefer gefunden
ist. Die Phalangen zeigen
wohl hinlänglich, daß die Taze keinem menschl. Geschöpfe
gehört hat. Vielleicht wissen Sie mir zu bestimmen,
was es sei, etwa eine Otter? Das wäre nicht unpas
send. Denn
30 Lachter vom Tage liegt in Riegelsdorf
ein mächtiges Lager verkiester Fische und zwar gekrümm-
ter.
| 4vIst Sikkingen
Forstern noch nicht näher? Wenn Sie sie
doch zusammen bringen könnten. Forster
über der Zeilewürde gewiß den Grafen
sehr lieb gewinnen. Versichern Sie über der Zeileihn doch
der
innerhalb der Zeilemeiner
innigsten
Hochachtung und sagen Sie ihm, daß ich die Versuche
mit dem Phosphoresciren der Kartoffeln nachgemacht, viel
fältig wiederholt habe und daß es mir nie mit dem
Leuchten geglükt habe.
Wenn wir die Entdekkung von
Fourcroy daß viele Pflanzen Eiweißmaterie
enthalten,
den thierischen Leimen der Cerealien, das flüchtige
Alkali
der Tetradydinamisten, das Leuchten der Kartof-
feln (das sich beim Rindfleisch und Lachs ja auch
findet)
zusammen nehmen, so kommen wir den Ue-
bereinstimmungen zwischen Thier und Pflanze immer nä-
her. – Noch eine Frage, mein Bester! Wo lese ich
wohl etwas
ausführliches über die Entstehung der thierischen
Knochen, die doch wahrer
Kalkstein mit Phosphorsäure ge-
sättigt,
Wernersche uncristallisirte Apatiten
sind. Ich
möchte gern wissen woher die Kalkerde, bei der wenig
Nahrung des Kindes, entsteht.
Georg Forster und dessen Ehefrau Therese Huber, die wie Soemmerring in Mainz lebten.
[Schließen]Forsters und vergessen Sie nicht Ihren Humboldt.
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