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Aranjuez unfern Madrid den 20. April 99.

Wenn ich, mein brüderlichst geliebter Freund, seit Marseille auch keine Zeile an Dich geschrieben habe, so bin ich deshalb, wie der Inhalt dieses Briefes zeigen wird, doch nicht minder thätig für Dich und Deine Freuden gewesen. Ich schlage so eben eine Kiste von 400 Pflanzen für Dich zu, von denen ¼ gewiß noch unbeschrieben und aus Gegenden sind, die (wie St. Blasio in Californien, Chiloe und die Philippinen) kaum von einem Botanisten betreten worden sind. Wenn Du diese Pflanzen durchgehst, so wirst Du Dich überzeugen, daß kaum ein Tag vergangen ist, an dem nicht in Wäldern, Wiesen und am Meeresufer Dein Andenken mir lebendig gewesen ist. Ueberall habe ich für Dich gesammlet und zwar nur für Dich, da ich selbst erst jenseits des Oceans mein eigenes Herbarium anfangen will. Doch ehe ich Dir die Pflanzen nenne, welche für Dich, mein Lieber bestimmt sind, muß ich Dich über mich selbst und mein Schiksal orientiren. Dieses Schiksal ist nun in diesem Jahr wunderbar genug gewesen, doch wirst Du bemerken, daß ich wenigstens Hartnäkkig in Verfolgung meiner Pläne gewesen bin und daß diese Hartnäkkigkeit mich nun doch noch von Californien bis zum Patagonenlande, vielleicht selbst um die Welt führt. Bei einem so arbeitsamen und tumultuarischen Leben als das meinige, bei der großen Menge von Dingen, die als Folge von Experimenten, astronomischen Beobachtungen p stündlich aufzuzeichnen sind, bei der vielen Zeit, welche ich dem gesellschaftlichen Leben aufopfere, siehst Du, mein Theurer, selbst ein, daß ich keinen sehr lebhaften Briefwechsel führen kann. In der That habe ich eigentlich allen Briefwechsel völlig aufgegeben, denn da ich mit so vielen hundert Menschen in Verbindung stehe, da mit jeder neuen Reise die alten Correspondenten den neuen Plaz machen mußten – so werden meine nachsichtigsten Freunde von selbst das widrige einer solchen Lage einsehen. Arbeit ist doch einmal der Zwek unseres Lebens und wo ist Arbeit möglich, wenn man täglich 6–8 gleichlautende Briefe schreibt und doch immer ein Rest bleibt. Ich führe also jezt keine andre Correspondenz als mit 4–5 meiner vertrautesten Freunde, und daß Du, mein Guter, unter dieser kleinen Zahl begriffen bist, brauche ich wohl nicht erst zu sagen. Wenn ich auch nur alle 2–3 Monathe schreibe, so suche ich doch immer einen Brief an den anderen anzuknüpfen. Also zuerst von mir selbst: Seitdem ich in Salzburg meine zweite Reise nach Italien und die Zahl wichtiger Versuche welche ich in Neapel über die gasartigen Ausdünstungen der Vulkane zu machen gedachte, aufgab; hatte ich keinen andern Zwek als den, mich in die heiße Zone zu begeben. Du weißt daß der alte und tolle Lord Bristol ein Schiff in Livorno gekauft hatte, welches uns mit Küche und Keller, Mahlern und Bildhauern den Nÿl herauf bis an die Catarakte führen sollte. Diese Reise nach Egypten war verabredet (November 97) ehe Buonaparte sich damit beschäftigte. Ich wollte in Paris noch einige Instrumente zusammenkaufen als die Franzosen mir meinen tollen Lord bei Bologna wegfangen, und ihn in Mailand festsezen, damit er (da er  Pfund Sterling: Währungseinheit (Großbritannien)60000 Pfund Sterling Einkünfte hat) ein ansehnliches Lösegeld zahlt. In Paris wurde ich aufgenommen wie ich nie erwarten durfte und wie ich mir nur aus der Mittelmäßigkeit der Deutschen erklären kann, die sich dort gezeigt hatten. Der alte Bougainville projectirt eine neue Reise um die Welt besonders nach dem Südpol. Er beredet mich ihm zu folgen und gerade damals mit magnetischen Untersuchungen beschäftigt, leuchtete eine Reise nach dem Südpol mir mehr als Egÿpten ein, wohin (als ich in Frankreich ankam) Buonaparte mit seinen 10000 Gelehrten, die sich noch vor Toulon wie die Gassenbuben zankten, bereits abgesegelt war. Mit diesen weitaus sehenden Hofnungen

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Zitierhinweis

Alexander von Humboldt an Karl Ludwig Willdenow. Aranjuez, 20. April 1799, hg. v. Ulrich Päßler unter Mitarbeit von Klaus Gerlach und Ingo Schwarz. In: edition humboldt digital, hg. v. Ottmar Ette. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. Version 1 vom 10.05.2017. URL: https://edition-humboldt.de/v1/H0001200. Folio: https://edition-humboldt.de/v1/H0001200/1r


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