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Havana, den 21. Februar 1801.

Mein brüderlichst geliebter Freund! Ungewiß ob diese Zeilen, wie so manche andere, die ich aus dieser Tropenwelt an Dich gerichtet, verloren gehen, schränke ich mich bloß auf die Bitte ein, die ich zu thun habe. Auf einer Reise um die Welt zu einer Zeit, wo das Meer von raub-Gesindel wimmelt, wo Neutral-Pässe so wenig als Neutrale Schiffe respectirt werden, beschäftigt mich nichts so ängstlich, als die Rettung meiner Manuscripte und Herbarien. Es ist sehr ungewiß, fast unwahrscheinlich, daß wir beide Bonpland und ich lebendig über die Philippinen und das Cap der guten Hofnung zurükkehren. Wie traurig wäre es, in dieser Lage die Früchte seiner Arbeiten verloren gehen zu sehen. Um das zu vermeiden haben wir von unseren Pflanzenbeschreibungen (2 Bände enthaltend heute 1400 Species bloß seltene und neue) Abschrift genommen. Ein Manuscript behalten wir bei uns, die Copie senden wir theilweise durch die Französischen Vice-Consuls nach Frankreich, an Bonplands Bruder nach la Rochelle. Die Pflanzen haben wir in 3 Samlungen vertheilt, da wir doubletten und tripletten von allem haben. Ein Herbarium im kleineren Format schleppen wir mit uns um die Welt, um zu vergleichen. Ein zweites (Bonpland gehörig, mit dem ich natürlich alles theile) ist bereits nach Frankreich abgegangen und das dritte (in 2 Kisten mit Cryptogamisten und Gräsern 1600 verschiedene Species enthaltend, meist aus dem unbekannten Theile der Parime und Guayana zwischen demRío Negro und Bresil wo wir voriges Frühjahr waren) sende ich heute durch Mr. John Fraser über Charleston nach | 1v London. Durch Vervielfältigung vermindern wir die Gefahr. Meine Idee ist, da meine Reise so viele Gegenstände umfaßt, welche unmöglich dieselben Leser interessieren können, die Beobachtungen in verschiedenen Theilen dem Publikum vorzulegen als zum Beispiel eine eigentliche Reise, physisch moralisch bloß die allgemeinen Verhältnisse schildernd, das was jeden gebildeten Menschen interessirt, Charakter der Indianischen Völkerschaften, Sprache, Sitten, Handel der Kolonien, Städte, Ansicht des Landes, Akkerbau, Höhen der Berge bloß Resultate, Meteorologie – dann in besonderen Ländern 1) Construktion des Erdkörpers. Geognosie 2) Astronomische Beobachtungen latitudo und longitudo Jupitersbeobachtungen. Refraction … 3) Physik und Chemie. Versuche über chemische Beschaffenheit des Luftkreises. Hygrometrie. Elektricität. Barometer. Pathologische Beobachtung Irritabilität. 4) Beschreibung von neuen Species Affen, Crocodill, Vögel, Fische, Insekten … Anatomie der Seegewürmer … 5) Das botanische Werk gemeinschaftlich mit Bonpland und zwar nicht bloß nova genera und Species sondern nach Folge des Linné’schen Systems Beschreibung, Aufzählung aller Species über die wir mehr als andere gesehen, wie ich hoffe neue 5–6000 Species, denn in Manilla, Ceylon wird die Beute sehr, sehr groß sein. Dies mein Guter ist mein Plan im Allgemeinen. Sterbe ich so wird Delambre meine astronomischen, Freiesleben oder Buch meine Geognostischen, Scherer meine physikalischen, chemischen, Blumenbach meine Zoologischen Manuscripte und Du, Du – mein Guter (so hoffe ich) meine botanischen unter Bonplands und meinem Namen ediren. Mein Bruder wird jedem die Manuscripte zukommen lassen.

Ich bleibe meinem alten Versprechen getreu, daß alle, alle in dieser Reise gesammelten mir gehörigen Pflanzen Dein sind. Ich will nie, nie etwas besizen. Nur muß ich Dich bitten, da ich mir nach meiner Zurükkunft | 2rdie Publication vorbehalte, mein Herbarium vor dieser Publikation oder vor meinem Tode nicht Deiner Samlung einzuverleiben. Die 2 Kisten (1600 Species) welche ich heute Herrn Fraser anvertraue, habe ich nicht unmittelbar nach Hamburg adressiren wollen, nicht bloß weil kein Neutrales Schif in Spanische Häfen einläuft, sondern weil ich nicht weiß, ob Du es selbst nicht für sicherer hälst, die Kisten bei Fraser bis zum Frieden stehen zu lassen. Es hängt bloß von Dir ab, sie sogleich oder später zu besizen und Herr Fraser hat Order, sobald Du ihm schreibst (auf französisch) und ihm adresse nach Hamburg schikst, Dir die Kisten als Dein künftiges Eigenthum verabfolgen zu lassen. Schreibst Du ihm nicht, so bleiben die Kisten in London stehen bei Fraser. Seine Adresse ist: Mister John Fraser Botanical Collector of His Majesty the Emperor of Russia Chelsea near London. Ich habe Ursach zu glauben, daß meine Pflanzen bei diesem Manne wohl aufgehoben sind, da ich ihm mehrere sehr wesentliche Dienste geleistet. Du erinnerst Dich, mein Guter, aus Walteri Flora Caroliniana daß Fraser 4 Reisen in Labrador und Canada theils als Botanist, theils als Gärtner und Saamenhändler gemacht. Er war seit 1799 auf einer 5ten Reise am Ohio in Kentucky und Tennessey begriffen, einer jezt sehr gangbaren Gegend, denn in 4 Wochen schikt man Güter zu Lande und Wasser von Philadelphia über Fort Pitt, über den Ohio und Missisipi nach Nueva Orleans. Unbekannt mit der Schwierigkeit ohne Erlaubniß des Königs von Spanien in die Kolonien einzudringen, kam Fraser nach Havana, um hier Pflanzen zu sammeln. Er litt Schifbruch, brachte 3 unglükliche Tage in einer Sandbank 10 Meilen von der Küste zu, ward endlich von Fischern von Matanzas gerettet und kam von allem entblößt hier an. Sein Name und sein Gewerbe war genug, um ihn mir zu empfehlen. Ich habe ihn in meinem Hause aufgenommen, ich habe ihn mit Geld und allem was er bedurfte unterstüzt, ihm durch meine Verbindungen die Erlaubniß verschaft, die Insel Cuba zu bereisen und ich darf hoffen, daß er und sein sehr, sehr liebenswürdiger Sohn alles aufbie | 2vten werden, um mir gefällig zu sein. Ich habe dem Vater vorgeschlagen, den Sohn in meine Expedition aufzunehmen und ihn mit nach Mexiko zu nehmen, aber der junge Mensch fürchtet die Spanier, deren Sprache er nicht versteht und er eilt in London seine Pflanzen von Kentucky zu beschreiben. Ich gehe von hier über Mexico und Californien nach Acapulco um dort mit dem Capitaine Baudin die Reise um die Welt zu vollenden.

Ich habe Dir gesagt, mein Lieber (verzeih mein elendes Deutsch da ich seit 2 Jahren ewig spanisch und französisch spreche) daß ich meine Pflanzen nach meiner Rükkunft selbst zu publiciren denke. Solltest Du indeß in den 2 Kisten, die Fraser Dir einhändigen kann, neue Species entdekken, die Deine Aufmerksamkeit besonders auf sich ziehen, so steht es natürlich ganz in Deinem Willen, einzelne derselben, nur nicht viele und alle, in Deine vortrefliche Ausgabe der Species einzuschalten. Im Gegentheil wird es uns (Bonpland und mir) eine besondere Ehre sein, von Dir in so einem Werke erwähnt zu werden. Ich sage mit Fleiß nur nicht viele und alle, weil es unmöglich ist, nach troknen Exemplare so gut zu beschreiben, als nach dem, was wir in der Natur selbst aufgezeichnet. Gmelins elende Species , Schrebers Genera wo von wir den 1. Theil in einem Schifbruch auf dem Orinoco (Palmsontag 1800) eingebüßt, Deine herrliche Ausgabe der   Linné/Willdenow/Link 1797–1830, I .

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Species
bis Pentandria Polygynia, die Flora Peruana Tomus II,Ortega’s Decades , Reichards Species , Jussieu Genera, Aiton Hortus Kewensis und   Linné/Murray 1784; Linné/Murray 1797 .

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Murray
ist alles, alles was ich von Spanien abreisend erzielen konnte. Ich glaube mit Bonpland sehr, sehr genaue Diagnosen niedergeschrieben zu haben, aber ich wage es nicht zu sagen wie viele neue genera wir besizen. In Palmen und Gräsern, in Melastomis, Piper, Malpighia, Cipura Aublet, Caesalpina, der Cortex Angosturae (die ein neues von Cinchona verschiedenes genus ist) sind wir sehr, sehr reich. Einzelne genera besizen wir, von denen es mir entschieden scheint, daß sie neu sind als eine Pflanze in dem Gebirge Tumiriquiri zwischen dem Guarapiche und Orinoco: Calyx 5-phyllus: foliolis ovato-lanceolatis coniventibus. Cortex duplex exterior (rubra) 5 petala patens. Cortex interior (alba) 5 petala clausa. Stamina duplici serie disposita, altera numerosa inter petala exteriora et interiora sita (filamentis tenuissimis, antheris ovatis substerilibus) altera in corolla interiori latentia 5, filamentis nullis, antheris. sagittatis sessilibus erectis. Germen subrotundum Pistillum unicum. Stylus 1. (Pentandria Monogynia) Kein Monstrum! Sehr, sehr constant, Planta herbacea. | 3rfoliis alternis sessilibus lanceolato-linearibus, crenatis, stipulis lanceolatis ciliatis, floribus oxillaribus longe pedunculatis Habitatio Caripe Cumanacoa in umbrosis. Man kann auch sagen Corolla 10 petala, petalis 5 interioribus 5 exterioribus. Das ist wohl gewiß ein neues genus in so vielen Palmen die wir am Río Negro und Atabapo in den Wäldern von Hevea und Cinchona und Theobroma entdekt, aber wie viele andere nova genera bleiben uns zweifelhaft, da uns der Hortus Schönbrunnensis , Swartz Flora Indica occidentalis … fehlen. Ich bin daher fest entschlossen, während der 5–6 Jahre die meine Reise dauern wird der Versuchung zu widerstehen irgend etwas zu publicieren, ich bin gewiß daß ⅔ unser neuen genera und Species nach Europa zurükkehrend als uralt erkannt werden, aber man gewinnt immer in so entlegenen Ländern durch Aufzeichnung neuer nach der Natur gemachten Beschreibungen. Welch ein Schaz von Pflanzen in dem wunderbaren, von so vielen neuen Affen und undurchdringlichen Wäldern erfüllten Lande zwischen dem Orinoco und Amazon in dem ich  Geographische Meile: Längenmaß, 1.400 Geographische Meile entsprechen 10.388,62 km1400 Meilen geographische zurükgelegt. Kaum ⅒ von dem was wir gesehen habe ich gesammlet. Ich bin nun völlig überzeugt, was ich in England nicht glaubte, aber schon aus   Ruiz/Pavon 1798–1802.

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Ruiz und Pavon
, Nee’s und Haenken’s Herbarium schloß, daß wir nicht ⅗ aller existirenden Pflanzenspecies kennen. Welche wundersamen Früchte, von denen wir (als wir vom Aequator zurükkamen) eine große Kiste voll nach Madrid und Frankreich gesandt. Wir haben viel, recht viel gearbeitet aber vergiß nicht, daß das Pflanzenbeschreiben nur ein Nebenzwek meiner Reise war.

In der Ungewißheit, daß diese 2 Kisten Dir spät zu Gesicht kommen, sende ich in 14 Tagen über Sankt Thomas 200 auserlesene Species unmittelbar für Dich nach Hamburg. Du wirst darin mit Freuden neue species von Befaria erkennen! Die Pariana campestris ....

Aber ach! mit Thränen eröfnen wir fast unsere Pflanzenkisten. Unsere Herbaria haben dasselbe Schiksal über das bereits Sparman, Banks, Swartz und Jacquin geklagt. Die unermeßliche Nässe des amerikanischen Klimas, die Geilheit der Vegetation in der es so schwer ist alte, ausgewachsene Blätter zu finden, haben über ⅓ unserer Samlung verdorben. Wir finden täglich neue Insekten welche Papier und Pflanzen zerstöhren. | 3vKampfer, Terpentin, Theer, verpichte Bretter, Aufhängen der Kisten an Seilen in freier Luft, alle in Europa ersonnenen Künste scheitern hier und unsere Geduld ermüdet. Ist man 3–4 Monath abwesend, so kennt man sein Herbarium kaum wieder, von 8 Exemplaren muß man 5 wegwerfen, vollends in der Guayana, dem Dorado und dem Amazonenlande, wo wir täglich im Regen schwammen, am Atabapo wo unter Wilden, die stets vom Faulfieber leiden, unsere Gesundheit unbegreiflich widerstand. Vier Monathe lang schliefen wir in den Wäldern, von Crocodillen, Boas und Tiegern (die hier selbst Canoen anfallen) umgeben, nichts genießend als Reis, Ameisen, Manioc, Pisang und Orinoco Wasser und bisweilen Affen; von Mandavaca bis zum Vulkan Duida, von den Grenzen des Quito bis Surinam hin Strekken von 8000 Quadratmeilen treffend, in dem kein Indianer, nichts, nichts als Affen und Schlangen leben, das Gesicht, die Hände von Moskitenstichen geschwollen … Aber dagegen auch welcher Genuß in diesen majestätischen Palmenwäldern, diese Verschiedenheit unabhängiger freier Indianischer Völkerschaften, diesen Rest Peruanischer Kultur unter Nazionen, die ihren Akker wohl bestellend, Gastfreundschaft ausübend, sanft und menschlich scheinend wie die Othaheiter, wie sie, – Anthropophagen sind. Ueberall, überall, im freien Süd Amerika (ich rede von dem Theil südlich von den Katarakten des Orinoco, wo außer 5–6 Franziskaner Mönchen kein Weißer Mensch vor uns eindrang) fanden wir in den Hütten die entsezlichen Spuren des Menschenfressens!!

Meine Gesundheit und Fröhlichkeit hat troz des ewigen Wechsels von Nässe, Hize und Gebirgskälte (der südliche Theil der Guayana, die Parime ist keineswegs ein seichtes ebenes Land, wie es die Geographen schildern, nein es hat einen mächtigen von Popayan und Quito auslaufenden sich mit dem Oyapock (bei Cayenne) verbindenden Gebirgsstok, den ich in 1° Breite nördlich vom Aequator  Fuß: Längenmaß (Preußen), 9.600 Fuß entsprechen 3,01 km9600 Fuß hoch fand.) meine Gesundheit sag’ ich hat sichtbar zugenommen seitdem | 4rich Spanien verließ. Die Tropenwelt ist mein Element und ich bin nie so ununterbrochen gesund gewesen als in den lezten 2 Jahren. Ich arbeite sehr viel, schlafe wenig, bin oft bei astronomischen Beobachtungen 4–5 Stunden lang ohne Huth der Sonne ausgesezt, ich war in Städten (la Guayra, Portocabello) wo das gräßliche gelbe Fieber wüthete und nie, nie hatte ich nur Kopfweh. Nur in Santo Thomé de la Angostura der Hauptstadt der Guayana und in Nueva Barcellona hatte ich 3 Tage lang Fieber, einmal am Tage meiner Rükkunft vom Río Negro da ich nach langem Hungern zum ersten Mal und unmäßig Brod genoß und das andere Mal von einem kleinen hier stets Fieber erregenden Staubregen bei Sonnenschein benezt. Meine Aufnahme in den Spanischen Colonien ist so schmeichelhaft, als der eitelste und aristokratischste Mensch sie nur wünschen kann. In Ländern, in denen kein Gemeinsinn herrscht, und in denen alles nach Willkühr gelenkt wird, entscheidet die Gunst des Hofes alles. Das Gerücht, daß ich von der Königin und dem König von Spanien persönlich ausgezeichnet worden bin, die Empfehlungen eines neuen allmächtigen Ministers Don Luis Mariano de Urquijo – erweichen alle Herzen. Nie, nie hat ein Naturalist mit solcher Freiheit verfahren können. Dazu ist die Reise bei weitem nicht so theuer als man glauben möchte, wenn man hört, daß ich auf den Flüssen 24 Indianer viele Monathe lang, im Innern oft 14 Maulthiere für Pflanzen und Instrumente bedurfte … Meine Unabhängigkeit ist mir mit jedem Tage über alles theuer. Daher habe ich nie, nie eine Spur von Unterstüzung irgend eines Gouvernements angenommen und (falls deutsche Zeitungen vielleicht einen englischen mir übrigens sehr schmeichelhaften Artikel übersezen „daß ich mit besondern Aufträgen reise, zu einem großen Posten im Indischen Rath bestimmt bin“) so lache, wie ich, darüber. Falls ich nach Europa glüklich zurükkehre, so werden mich ganz andere Pläne beschäftigen, die mit dem Consejo de Yndias wenig zusammenhängen. Ein Menschenleben, begonnen wie das meinige, ist zum Handeln bestimmt und sollte ich unterliegen, so wissen die, welche meinem Herzen so nahe als Du sind, daß ich mich nicht gemeinen Zwekken aufopfere. Wir Ost- und Nordeuropaer haben übrigens gar tolle und wunderbare Vorurtheile über das Spanische Volk. Ich habe nun 2 Jahre lang vom Capuciner an (ich war lange in ihren Missionen unter den Chaymas-Indianern) bis zum Vicekönig mit | 4vallen Menschenklassen genau verbunden gelebt, ich bin der Spanischen Sprache jezt fast wie meiner Muttersprache mächtig – und in dieser genauen Kentniß kann ich versichern, daß diese Nazion troz des Staats- und Pfaffenzwanges mit Riesenschritten ihrer Bildung entgegengeht, daß ein großer Charakter sich in ihr entwikkelt …

Ob Du von so vielen Dir geschriebenen Briefen denn keinen erhalten? Ich wiederhole deshalb, da Dich aus alter Jugendfreundschaft meine Abendtheuer so genau interessiren, die Hauptepochen meiner Reise. Am 5. Junius 1799. segelten wir von Coruña ab auf Fregatte Pizarro nach den Canarien, wo wir den Pic de Teyde bis in den Crater bestiegen. Seit 12 Jahren war niemand dort gewesen. Mister Johnstone ein Kaufmann aus Madeira war der lezte vor uns. Am 16. Julius im Hafen von Cumaná. Bis November dort und in dem Gebirge Tumiriquiri, unter den Indios Chaymas, am Guarapiche und Costa de Paria. Am 18. November zur See nach La Guayara und Caraccas. Dort in umliegende Gegend, die Silla besteigend, 2 Monath. Dann durch Valles de Aragua, die Cacao Pflanzungen am Romantischen See von Valencia (wo wir einen Baum entdekten, dessen Milch die Indianer wie Kuhmilch genießen, sie ist sehr nährend und giebt sauren Käse!) nach Portocabello dann südlich durch das große Llano (eine Wüste voll Gymnotus electricus in Sümpfen und wilde Pferde zu  Reichstaler: Preuß. Währungseinheit1 Reichsthaler das Stük) in die Provinz Varinas an der Grenze von Santa bis Río Apure in 7° Latitudo. Auf diesem Fluß östlich in den Orinoco bis Cabruta dann diesen südlich aufwärts bis jenseits der fürchterlichen Cataracte de Maypure und Atures, an die Mündung des von Quito kommenden Guaviare in 3° Latitudo. Dann den Orinoco verlassend auf den kleinen Flüssen Atabapo, Tuamini und Temi gegen Südost ein 150 Meilen von Quito bis an den wegen Schlangen berüchtigten monte de Pimichin. Durch diesen Wald trugen die Indianer 3 Tage lang die Piragua bis an den Río Negro, diesen hinab südöstlich bis San Carlos, einer von 8 Mann bewachten Grenzfestung gegen den Bresil (Gegenüber besizen die Portugiesen San José de Maravitanos, sie hinderten mich mit den Instrumenten weiter vor bis an den nahen Amazonenfluß zu dringen). Dann durch den Casiquiare nördlich an den Quellen des Orinoco, diesen aufwärts bis jenseits dem Vulkan Duida im Dorado in Wäldern von Cacao, Caryocar, einem neuen genus Juvia (Mandelbaum mit  Preußisches Zoll: Längenmaß (Preußen), 14 Preußisches Zoll entsprechen 36,62 cm14 zoll breiten Früchten) … dann den ganzen Orinoco abwärts bis an die Mündung eine Reise von  Preußische Meile: Längenmaß (Preußen), 1.200 Preußische Meile entsprechen 9.038,99 km1200 Meilen auf den Flüssen von der Mündung des Orinoco durch das Llano de Curacatiche nach Barcellona, um endlich am 1. September 1800 in Cumaná zurük im Hause unseres Freundes Don Vicente Emperan (Gouverneurs dieser Provinz.) Bis 24. November ordneten wir unsere Samlungen und machten Excursionen ins Gebirge Chuparuparu, dann mit vieler Gefahr und schreklichem Sturm von Nueva Barcellona nach Havana, wo wir 19. December 1800 ankamen und wo ich die ersten Briefe aus Europa seit 18 Monathen las, mit Freuden las, denn alle Nachrichten waren fröhlich. So viel damit Du und unsere Freunde (Du theilst wohl Herrn Kunth oder meinem Bruder Wilhelm falls er in Berlin ist, diesen Brief mit) den Faden meiner Reise nicht verlieren.

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Mit meinem Reisegefährten Alexandre Bonpland bin ich überaus zufrieden. Es ist ein würdiger Schüler Jussieu’s, Defontaine’s und besonders des alten wunderlichen Richard’s (der wohl der beste Botanist in Paris ist). Er ist überaus thätig, arbeitsam, sich leicht in Sitten und Menschen findend, spricht sehr gut spanisch, ist sehr muthvoll und unerschrokken. Er hat vortrefliche Eigenschaften eines reisenden Naturalisten. Die Pflanzen mit doubletten über 12000 hat er allein getroknet, die Beschreibungen sind etwa zur Hälfte sein Werk. Oft haben wir jeder besonders dieselben Pflanzen beschrieben, um gewisser zu sein. In der Guayana wo man wegen der Mosquiten die die Luft verfinstern, Kopf und Hände stets verdekt halten muß, ist es fast unmöglich am Tageslicht zu schreiben. Man kann die Feder nicht ruhig halten, so wüthig schmerzt das Gift dieser Insekten. Alle unsre Arbeit geschah beim Feuer in einem Theile der Indianischen Hütten, wo kein Sonnenstrahl eindringt und in die man auf dem Bauch kriecht. Dort erstikt man fast vor Rauch, aber leidet weniger von den Mosquitos. In Maypure retteten wir uns mit den Indianern mitten in die Catarakte, wo der Strohm rasend tobt und wo der Schaum die Insekten vertreibt. In Higuerote gräbt man sich Nachts in den Sand, so daß bloß der Kopf hervorragt und der ganze Leib mit  Preußisches Zoll: Längenmaß (Preußen), 3,5 Preußisches Zoll entsprechen 9,15 cm3–4 Zoll Erde bedekt bleibt. Man hält es für Fabel wenn man es nicht sieht. Sonderbar daß wo die schwarzen Wasser, eigentlich die kaffeebraunen Flüsse (Atabapo, Guainia … ) anfangen weder Mosquitos noch Crocodille gefunden werden.

Und Du, mein Guter, wie führst Du im häuslichen stillen Glükke Dein arbeitsames Leben fort? Wie glüklich bist Du diese undurchdringlichen Wälder am Río Negro; diese Palmenwelt nicht zu sehen – es würde Dir unmöglich scheinen Dich nochmals an einen Kienenwald zu gewöhnen. Nur hier, hier und selbst nicht mehr hier, in der Guayana in SüdAmerika ist die Welt recht eigentlich grün. Der Artocarpus incisus, den man in der Guayana kultivirt, gedeiht vortreflich. Ich kenne Plantagen welche 4–500 Stämme besizen. Vierjährige Bäume geben unzählige Früchte, sind  Fuß: Längenmaß (Preußen), 30 Fuß entsprechen 9,42 m30 Fuß hoch und haben  Fuß: Längenmaß (Preußen), 3 Fuß entsprechen 0,94 m3 Fuß lange und  Preußisches Zoll: Längenmaß (Preußen), 18 Preußisches Zoll entsprechen 47,08 cm18 Zoll breite Blätter! Aber Epoche in der Geschichte des Akkerbaus macht das Zukkerrohr von Otaheiti, das man in ganz Westindien baut, das 3fach dikker als das alte hier sonst gewöhnliche ist und wenigstens ⅓ mehr Zukker giebt. Diese Pflanze allein könnte Cooks Namen verewigen. | 5vWie sehnlich harre ich auf die Fortsezung Deiner Species plantarum ! Vergebens habe ich sie in Philadelphia suchen lassen. Im Kriege gedeiht nichts. Hättest Du nicht Gelegenheit mir 2 Exemplare zukommen zu lassen, eines nach dem Cap de bonne espérance durch Holland und das andere nach Mexico. Sende das Exemplar durch den Französischen Gesandten in Berlin an den Französischen Gesandten in Madrid oder an Don Raphael Clavijo, Brigadier de los Reales Exercitos en la Coruña. Auch durch Sankt Thomas oder Charleston an mich nach Havana addressirt (Casa del Señor Don Luis de la Cuesta) wäre es leicht. Auf allen diesen Wegen kommt mir das Exemplar zu. Ich erhielt hier zum Beispiel meines Bruders Aesthetische Versuche. Von meiner Dankbarkeit gegen Dich sag ich nichts. Ich wiederhole, daß mein ganzes Herbarium, so bald ich publicirt, Dein sein soll.

Hier in Amerika sind ungeheure Pflanzenschäze, vortrefliche Zeichnungen, Beschreibungen, alles ist fertig, aber wie ist an Publication in einem Lande zu gedenken, wo die Buchhändler  Reichstaler: Preuß. Währungseinheit20000 Reichsthaler fordern, um ein Buch drukken zu lassen, in einem Lande wo man noch 10 Jahr lang mit Ruiz Flora beschäftigt sein wird. Don Celestino Mutis in Santa hat gewiß über 1500 bis 2000 neue species. Die Flora Novae Grenadae ist fertig. Haenke ist noch in Chili, nachdem er mit Malaspina die ganze Welt bereist. Reicher an Pflanzen ist niemand in der Welt. Sesse ein sehr, sehr guter Botanist, hat 7 Jahre lang ganz Mexiko und Californien bereist. Er hat 2000 Zeichnungen. Tafala arbeitet noch in Peru wie Cervantes in Mexiko. Hier in der Insel Cuba ist eine eigene Botanische Comission, deren Haupt Doctor Boldo am gelben Fieber gestorben ist. Der junge Estevez, Sesse’s Schüler, hat ihn substituirt. Mit ihm arbeitet ein Mexikanischer Mahler Echeveria, dessen Talent im Pflanzenzeichnen ich mit nichts vergleichen kann. Alle  Die beiden botanischen Zeichner und Maler Ferdinand Lucas und Franz Andreas Bauer.

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Bauer
und Pariser Künstler verschwinden gegen den Mexikaner. Broussonet hat sich wegen der Pest von Mogador nach Santa Cruz de Teneriffa geflüchtet, wo er jezt Consul ist. Ich habe das Ministerium gebeten, einen jungen Franciscaner Mönch durch Cavanilles unterrichten zu lassen, um den Río Negro zu bereisen. Nur in dem Frok, oder in Begleitung eines Mönchs kann man dort reisen ohne sich vor den Indianern | 6rzu fürchten. Der jezige Padre Guardian der Missionen Fray Juaquin Marquez ein wakkerer Mönch mit dem ich in genauer Freundschaft gelebt, hat das Projekt sehr unterstüzt. Ich habe an manchen Orten Instrumente gelassen und wir dürfen hoffen bald über diesen finstern, unbekannten Theil der Welt, über den alle Karten erlogen sind, einiges Licht zu erhalten.

Wenn ich an die Zeit zurükdenke, wo ich Dir Hordeum murinum zu bestimmen brachte, wenn ich mich erinnere, daß das botanische Studium mehr als meine Reise mit Forster, den Trieb in mir rege machte, die Tropenwelt zu besuchen – wenn ich in meiner Phantasie die Rehberge, die Panke, und die Katarakte von Atures, ein Haus von China (Cinchona alba) in dem ich lange gewohnt, vereinige – so kommt mir das alles oft wie ein Traum vor! Wie viele Schwierigkeit habe ich überwunden! Vergeblich auf Baudins Reise um die Welt gewartet, dann Egypten und Algier um einen Schritt nahe, dann in SüdAmerika und nun wieder in der Hofnung Baudin und Michaux in der Südsee zu finden – Wie wunderbar ist ein Menschenleben verkettet. Träume ich mir dann bisweilen ein glükliches Ende dieser gefahrvollen Irrfahrt, träume ich mich an die Ekke der Friedrichsstraße in Dein altes Zimmer, Deinem Herzen immer gleich nahe, mache ich mir diese Bilder recht lebhaft, o dann wäre ich im Stande das Ende dieser Reise früher heranzurükken, und zu vergessen, daß in großen Unternehmungen die kalte Vernunft und nicht die Neigung den Entschluß leiten soll. Eine innere Stimme sagt mir, daß wir uns wieder sehen.

Grüße Dein liebes Weib, die Schwiegermutter herzlich, umarme  Willdenows Söhne Carl Wilhelm und Johann Carl.

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die Kleinen
und vor allem den Freund Hermes, der mich wohl nicht ganz vergessen hat. Von Jacquin und van der Schott, den ich so sehr liebe, habe ich nie eine Antwort erhalten können. Wann wird dieser entsezliche Krieg enden, der alle Verbindung hindert. Seit Merz 1800 hat hier niemand Briefe aus Spanien. Lebe wohl, mein theuer Willdenow und rufe mein Andenken in der Versamlung unserer vortreflichen Freunde, bei Klaproth, Karsten, Zöllner, Hermbstedt, Bode, Herz … zurük.

Mit brüderlicher Liebe Dein alter Schüler Alex. Humboldt

meine sicheren Adressen in Spanien sind: Monsieur de H. à Madrid chez Monsieur le Baron de Forell Casa de Saxonia.

Tausend Empfehlungen an Herrn Kunth, den Du wohl aufsuchst, wenn Du diesen Brief erhälst. Sage diesem alten Freunde, daß ich meinem Entschlusse getreu, jeder Gelegenheit nur 1 Brief anzuvertrauen ihm heute mit einem anderen Schiffe ebenfalls geschrieben.

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Hast Du im Oktober 1800 Saamen erhalten, die ich an Vahl in Copenhagen addressirt. Wir haben zu verschiedenem Male eine große Menge Saamen nach Paris an Jussieu, an Sir Joseph Banks nach London und an Ortega nach Madrid gesandt. Ich hoffe daß sie gedeihen, denn sie waren sehr frisch und gewiß selten, da wir uns höchstens mit   Aublet 1775.

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Aublet
hier und da begegnet sind.

Existirt mein alter Freund Persoon noch in Europa, so bitte ihn mir Empfehlungen an seine Familie gradehin nach dem Cap zu senden.

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Zitierhinweis

Alexander von Humboldt an Karl Ludwig Willdenow. Havanna, 21. Februar 1801, hg. v. Ulrich Päßler unter Mitarbeit von Klaus Gerlach und Ingo Schwarz. In: edition humboldt digital, hg. v. Ottmar Ette. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. Version 9 vom 04.07.2023. URL: https://edition-humboldt.de/v9/H0001181


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