Alexander von Humboldt an Karl Ludwig Willdenow. Paris, 17. Mai 1810 Päßler Ulrich Gerlach Klaus Mitarbeit Schwarz Ingo Mitarbeit Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW) Berlin Creative Commons Attribution-ShareAlike 4.0 International (CC BY-SA 4.0) https://edition-humboldt.de/H0006055 https://edition-humboldt.de/v9/H0006055.xml , hg. v. Ulrich Päßler unter Mitarbeit von Klaus Gerlach und Ingo Schwarz. In: edition humboldt digital, hg. v. Ottmar Ette. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. Version 9 vom 04.07.2023. Deutsches Literaturarchiv Marbach Handschriftenabteilung 66.243 A:Humboldt Humboldt 2020, 124–127. Humboldt, Alexander von (1769–1859) Paris Willdenow, Karl Ludwig (1765–1812)

Mein theurer Willdenow! Es ist vor wenigen Wochen hier ein junger Mensch angekommen, Namens Sellow, der in dem bot. botanischen Gar-ten gearbeitet u und der mir eine Empfehlung von meinem Bruder Wilhelm gebracht. Er sieht freundlich, munter u und lehrbegierig aus. So elend auch Pflanzenzucht bekanntlich auch in Paris bestellt ist, so kann ihm sein Aufenthalt doch in mancher Rüksicht nüzlich werden. Da er in Malmaison keine Collegia hören kann, so habe ich es für besser gehalten, ihn im Jardin des plantes anzustellen. Bei dem Zufluß junger Leute hat man ihm nicht einmal die gewöhnlichen 34 Soli täglich schaffen können. Ich werde das erste Jahr gern für sein Auskommen sorgen, das heißt ich werde von meiner Arbeit mit ihm theilen. Ich kann mir 1200 livres abmüssigen, für das nächste Jahr muß man ihm von Berlin aus etwas verschaffen. Es hat mich tief geschmerzt daß Du ihn an Andere u und nicht an mich empfohlen hast.

Der Zwek dieser Zeilen ist eine Bitte, theurer Willdenow, aber eine der ernsthaftesten Angelegenheiten meines Lebens. Ich rede mit derselben Offenheit u und treuen Liebe zu Dir, als vor 19 Jahren, da ich zuerst Dir Hordeum murinum zur Bestimung brachte. Die Bitte ist selbstsüchtig, aber vielleicht lassen sich mehrerlei Interessen dabei vereinigen. Mein Werk ist seiner Vollendung nahe. Sechs Quartbände sind fertig Phys Physique Générale od. oder Géogr. Géographie des plantesAstronomie 2 B. Bände Humboldt 1808–1811.Zoologie Humboldt 1811–1833.Mexico 2 B. Bände Humboldt 1811. . Dazu 3 folio Bände Plantes équinox équinoxiales Humboldt 1808–1813. Melast. Melastomacées Humboldt/Bonpland 1816–1823 . Monumensens Monumens Humboldt 1813.. Man drukt jezt an den 4 Bänden histor. historische Reise Der Reisebericht (Relation historique – Humboldt 1814–1825) erschien in drei Bänden, ein geplanter vierter Band ist nicht erschienen.. Schöll hat sich mit einem überaus reichen u und liberalen Buchhändler Stone vereinigt, es fehlt weder an Geld, noch an Vorschuß. Man verkauft jährlich für mehr als 140.000 livres von meinen Werken. Die Botanik bleibt ganz zurük. Seit 11 Monathen ist 1 Heft plantes équin équinoxiales Humboldt/Bonpland 1808–1813. u und 1 Heft Melast. Melastomacées Humboldt/Bonpland 1816–1823. erschienen. Die Ursachen brauche ich Dir nicht zu enthüllen. Zu dem alten Uebel sind neue dazugekommen. Die Kaiserin Josephine hält sich jezt bald in Malmaison bald in Navarre auf, Bonpland hat sich ganz in die administration geworfen, er hat 12000 livres Gehalt u und verspricht wissenschaftliche Arbeiten die er nicht leisten kann, selbst bei gutem Willen nicht leisten könnte. Es wäre unnüz über verlorene Zeit zu klagen, es kom̅t kommt darauf an, bessere Maaßregeln für die Zukunft zu nehmen. Bonpl. Bonpland hat die vortreflichsten Eigenschaften des Herzens, ich lebe auf dem freundschaftlichsten Fuße mit ihm, aber weder ich, noch er selbst hat Einfluß auf ihn. Mir liegt wenig an den Plantes équinox. équinoxiales Humboldt/Bonpland 1808–1813 u und Melast. Melastomacées Humboldt/Bonpland 1816–1823 . Mögen diese langsam hinschländern – aber ich will nicht Europa verlassen ehe ich nicht unsere Species habe erscheinen sehen, es sind gewiß 12–1600 neue Spec Species nach denen zu urtheilen die Du schon beschrieben. Ich habe von B. Bonpland verlangt, daß er mir die Manuscripte 4 Quart- und 3 fol. folio Bände herausgiebt, daß er mir die Herausgabe der Spec. Species über-läßt. Wärst Du barmherzig genug dieses Werk zu übernehmen. Hier meine Vorschläge, ganz frei u und zuthulich:

Du kämest mit Frau u und Kind hieher. Ich gebe Dir ein hüpsches Quartier, das mir gehört daß , das ich aber nicht bewohne nahe am Panthéon u und am Jardin des plantes. In Malmaison findest Du auch Wohnung für Dich u und Deine Familie. Ich kenne Deine Art zu arbeiten. In wenigen Monathen gehst Du das Herbarium u und die MSS Manuscripte durch. Du machst Dir hier Auszüge, Du nim̅st nimmst entweder die MSS Manuscripte mit nach Berlin od. oder was mir besser scheint, ich lasse abschreiben was Du willst. Eben so nimmst Du die Pflanzen mit nach Berlin, die Du noch näher studiren mußt. Ich wünsche eine Beschreibung ganz wie in Deinen Species. Zu allem was in unseren MSS Manuscripten u und im Herbarium steht, wird Bonpl. od. oder Humb. gesezt, zu allem was Du selbst beschreibst u und discutirst Willd. So geschieht jedem sein Recht. Ein Quart Band, linnäisch geordnet, entweder bloß neue Spec. Species 12–1600 od. oder ich alle von uns gesammelte Pflanzen 5–6000. Ersteres hätte ich lieber, zu jeder beinah haben wir etwas anzumerken z. zum B. Beispiel Standort und Höhe wo die Pflanze wächst, wenig od. oder gar keine Synonima bloß Deine Species citirend. Das ganze Werk lateinisch. Klein folio wie la Billardière Labillardière 1804–1806., mit linear Zeichnungen, wo von schon ein 50 gestochen sind von Sellier. Man kann 5–6–800 u und mehr stechen, das Werk trägt Kosten. Turpin zeichnet schnell u und wünscht aus Armuth Arbeit. Du bezeichnetest hier, was Du gezeichnet haben willst. Von jedem neuen genus läßt man eine Spec. Species vollständig schön zeichnen u und stechen. Wäre man der neuen genera gewiß, so finge man damit an, wo nicht, giebt man diese Zeichnungen (ich meine die schattirten) in den plantes équinoxiales. In einer Vorrede werde ich selbst aufs deutlichste sagen was wir Dir verdanken: Titel Nov. Nova gener. genera et Spec Species plantar. plantarum quas in itin. itinere colleg. collegerunt H Humboldt et B. Bonpland , in ord. ordinem dig. digessit et not. notas luc. luculentas instr. instruxit W Willdenow . Damit die Herausgabe des Textes, welcher die Hauptsache ist, unabhängig bliebe von den Kupfern au trait Dessin bzw. Gravure au trait: Umrisszeichnung bzw. -stich., hielt ich es für rathsam, die Kupfer im Texte gar nicht zu citiren u und die Kupfer im gleichen formate ordnungslos Heftwei-se folgen zu lassen: Dann finge man mit Spec. Species seltener generum an und hielt es das Publikum aus so ließe man den Bettel der Salvien, Heliotropen u und Solan. Solanen folgen! Das alles, versteht sich, ganz wie Du es willst. Liegt es in Deiner Lage den Vorschlag anzunehmen, so weiß ich was Dich bewegt, Liebe zu mir, Gewißheit ein nüzliches Werk in die Welt zu bringen u und der Wissenschaft, die Du neu begründet hast, einen neuen Dienst zu erweisen. Ich muß noch einen Nebenpunkt berühren. Wir dürfen uns nicht mit Deinem Schweiße bereichern. So bald Du die Reise antreten kannst, zahlt Dir Friedländer 3000 francs , es ist ein geringer Zuschuß zu den Reisekosten u und so bald wir den Contract mit den Buchhändlern geschlossen haben, schmeichle ich mir mehr anbieten zu können – u und zwar unter dem strengsten Siegel der Verschwiegenheit. Es wäre nicht recht von mir, Dich zu bereden. Ich könnte hinzufügen, Du müßtest doch einmal das Dir so innigst verhaßte Paris sehen, die Herbaria werden Dich interessiren, der Garten würde ge-winnen wenn Du im Herbste August– Nov. November hier wä-rest, Du könntest eigene wissenschaftl. wissenschaftliche Plane anspinnen. Ich verspreche, dazu mit Deiner theuren guten Frau alle Schusterbuden von ganz Paris zu durchwandern!! Willst Du schlechterdings nicht kommen, so müßte ich die MSS Manuscripte u und das Herbar. Herbarium nach Berlin reisen lassen. Lezteres kostet an transport dann aufs neue hin u und her 70–80 Louis d’or, ich kann dazu eigentlich nicht über das herbar. herbarium des Musée disponieren. Es ist selbst hart W Bonpland die MSS Manuscripte zu nehmen, er kann auch gewiß manche mündliche Aufklärung geben. Dazu ist Deine Anwesenheit nöthig, um Turpin über die Zeichnungen zu instruiren. Was Du theurer guter Willdenow, auch bestim̅st bestimmst , werde ich in stiller Rührung gut heißen. Schreibe mir bald einige freundliche Worte. Ich umarme den Kleinen . Meine schönsten Grüße Deiner theuren Gattin .

AHumboldt Rue de la vieille Estrapade n numéro 11. ce 17 Mai 1810.

Willst Du aber Paris recht genießen, so denke aber ja nicht auf Umwege nach Holland, Montpellier od. oder Turin. Das erlaubt Dir Deine Zeit nicht und jede Woche die Du nicht in den hiesigen Sammlungen lebst, wird Dich gereuen. Mein Arm ist immer lahm u und sehr krank.